Achtung: Umschrift ist nur teilweise überarbeitet.

Richard Wilhelm 
über das Denkfeld um Meister Zhuang

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(Fortsetzung von 35)

Da Zhuangzi durchweg im Zusammenhang mit der philosophischen Arbeit seiner Zeit steht, auch vielfach Zitate und Anspielungen enthält, die den Werken zeitgenössischer Philosophen entnommen sind, so ist zu seinem vollen Verständnis ein kurzer Abriss der Hauptrichtungen der chinesischen Philosophie im 4. und 3. vorchristlichen Jahrhundert unentbehrlich. Glücklicherweise ist uns ein solcher Abriss erhalten, der zwar lange nicht vollständig ist, aber doch recht wertvolle Fingerzeige enthält. Er ist den Werken des Zhuangzi als 33. Buch angehängt und wird sogar von manchen einheimischen Kommentatoren für Zhuangzi's eigne Arbeit gehalten. Die Art jedoch, wie Zhuangzi mit höchstem Lob erwähnt und beurteilt wird, während er auf der andern Seite doch wieder nur als eine Richtung neben andern genannt wird, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass dieses Buch einer späteren Feder entstammt. Wir können uns daher darauf beschränken, seinen wesentlichsten Inhalt wiederzugeben. Nach einigen einleitenden Definitionen ist zunächst ein Überblick gegeben über die Art der Entstehung der verschiedenen philosophischen Richtungen. Dieser Überblick geht davon aus, dass die Alten den SINN in seinem vollen Umfang besessen und mit seiner Hilfe die Welt in Ordnung gehalten haben. Von hier aus wird eine doppelte Richtung der Weiterentwicklung angenommen: während von der einen Richtung die Dokumente des Altertums gesammelt wurden und dadurch jene Lehren des Altertums, soweit sie in diesen schriftlichen Urkunden einen Ausdruck gefunden, der Nachwelt erhalten blieben, ging auf der ändern Seite eine mündliche Tradition der Lehre weiter.

Um die schriftliche Tradition haben sich besondere Verdienste erworben die »Leute von Lu und Dsou« (d. h. Konfuzius und Mengzi), denen die Erhaltung der Bücher der Lieder, der Urkunden, der Riten, der Musik und der Frühling- und Herbstannalen zu verdanken ist. Diese Auffassung der konfuzianischen Schule als Abzweigung von der ursprünglichen Taolehre ist sehr interessant und entspricht sicher der Wirklichkeit ebenso wie die Charakterisierung dieser Richtung als einer vorwiegend historisch-literarischen. Weit ausführlicher werden nun die ändern Richtungen behandelt, in die sich die mündliche Tradition der Lehre gespalten hat. Dass eine solche Spaltung überhaupt eintrat, wird darauf zurückgeführt, dass im Verlauf des Zerfalls der öffentlichen Zustände der SINN, dessen inneren Besitz den Heiligen ausmacht und dessen äußere Betätigung den Herrscher und König kennzeichnet, verdunkelt wurde. Neigungen und individuelle Ansichten kamen auf. Jeder entnahm der Überlieferung, was ihm zusagte. Es bildeten sich Richtungen aus, von denen jede einen Teil der Wahrheit besaß, während keine einzelne mehr die ganze Wahrheit ihr eigen nannte. Die Aufzählung ist weit entfernt von Vollständigkeit. So werden die Staatsphilosophen (Guan Dschung und seine Nachfolger, Ds'i Tschan, Dong Si usw., vgl. Liä Ds'i IV, 11) nicht erwähnt, ebensowenig die Richtung, die sich mit der Ordnung der Verhältnisse von Ding und Bezeichnung beschäftigte, die Straf rechtslehrer, ferner der pessimistische Egoismus des Yang Dschu, ganz zu schweigen von den mancherlei Schulrichtungen, die sich im Konfuzianismus herausgebildet hatten. Erwähnt sind nur die Gesellschaftstheorie des Mo Di und seiner Schule, der Altruismus des Pong Mong, Tie'n Pien und Sehen Dau, der Idealismus des Laotse und Guan Yin Hi, dann Zhuangzi selbst und endlich anhangsweise der Sophist Hui Ds'i. Von Mo Di und seinem Schüler Kin Gu Li heißt es, daß sie die alte Einfachheit übertrieben haben, daß sie aus Sparsamkeitsrücksichten die Musik abgeschafft haben, daß es nach ihnen im Leben keinen Gesang und im Tode keine Trauerkleidung gab. »Mo Di's Lehre war die Brüderlichkeit, der allgemeine Nutzen, die Verurteilung des Streits und Zorns, Liebe zum Lernen, umfassende Bildung und Gleichheit. Er wich ab von den Königen der alten Zeit und schaffte die Riten und Musik des Altertums ab ... Mo Di wollte den Gesang aus dem Leben und die Trauerkleidung bei Todesfällen verbannt wissen. Statt der mehrfachen Särge des Altertums duldete er nur einen drei Zoll starken Sarg aus weichem Holz ohne Sarkophag als allgemeine Regel. Indem er die Menschen diese Dinge lehrte, zeigte er einen Mangel an Menschenliebe; indem er selbst darnach sich richtete, zeigte er zum mindesten einen Mangel an Selbstliebe. Zwar ist daran die Lehre des Mo Di noch nicht zugrunde gegangen, aber immerhin muss man sich fragen, ob es der menschlichen Natur entspricht, alle Regungen der natürlichen Gefühle zu unterdrücken. Im Leben Mühsal, im Tode Kärglichkeit, in der Lehre die äußerste Einfachheit: das macht die Menschen traurig und elend, und es ist schwer danach zu leben. Das ist wohl nicht die Lehre des berufenen Heiligen; denn es widerspricht allzusehr den Gefühlen der Welt, und die Welt ist nicht imstande, das auszuhalten. Mo Di selbst mag wohl imstande gewesen sein, nach seinen Lehren zu leben, aber was soll die Welt damit anfangen? Eine Lehre, die sich allzusehr von den tatsächlichen Zuständen der Welt entfernt, ist weit davon, mit den Herrschern des Altertums in Einklang zu sein.

Mo Di berief sich für seine Lehre auf das Vorbild des großen Yü, der sein Leben in haner Arbeit für das Wohl der Gesamtheit aufgeopfert habe6. Er habe sich nicht gescheut, selbst mit Korb und Spaten zu arbeiten, um die Wasserläufe der Welt in Ordnung zu bringen. An den Beinen habe er sich die Haare abgescheuert. Er habe gebadet und sich gekämmt in wehendem Sturm und strömendem Regen, um die Grenzen aller Staaten festzulegen. Yü war ein großer Heiliger, und daß er also sich abmühte um die Welt, das nahmen sich die Anhänger des Mo Di zum Vorbild, indem sie härene und grobe Kleider trugen und hölzerne und stroherne Sandeln. Tag und Nacht gönnten sie sich keine Ruhe. So legten sie sich die äußersten Entbehrungen auf, indem sie sprachen: >Wer das nicht vermag, der wandelt nicht in den Wegen des großen Yü und ist nicht wert ein Schüler des Mo Di zu heißen.<« Im folgenden wird dann noch ein Zweig der Schule des Mo Di behandelt, der hauptsächlich im Süden zu Hause war und in den Männern Ku Hu, Gi Tsch'i, Dong Ling Dsi seine Schulhäupter anerkannte. Dieser Zweig war von der praktischen Betätigung zu logischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen übergegangen. Es werden zwar nur spärliche Andeutungen gegeben von der Art dieser Arbeit, die wir aus ändern Zusammenhängen ergänzen müssen. So wird erwähnt, dass sie miteinander disputiert über »Unterschied und Übereinstimmung von Hart und Weiß« und darüber, dass »Gerade und Ungerade einander nicht entgegengesetzt sei«.

Wir wissen, dass bei dem ersten dieser Themata (das anderweitig auch bezeichnet wird als »Auseinanderfallen der Begriffe Härte und Stein, der Begriffe Weiß und Pferd«) es sich offenbar darum handelte, den logischen Unterschied von Substanz und Qualitäten herauszustellen. Das Gebiet genuiner philosophischer Untersuchung war damit betreten. Allerdings äußerten sich ähnlich wie bei den Sophisten Griechenlands diese logischen Beschäftigungen vielfach in spielerischen Paradoxen. Man war sich der souveränen Macht des Denkens sehr bewusst; so konstruierte man absichtlich schwierige Rätselfragen, die scheinbar unlösbar waren, um durch eine plötzliche Gedankenwendung ein Licht auf das Dunkel der Frage zu werfen. Wie es in der griechischen Sophistik schließlich zu einer Übertreibung dieser Denkübungen kam, so dass alles zur Spiegelfechterei ausartete, so scheint auch diese Richtung in China in ähnliche Bahnen eingemündet zu sein. So kamen die Versuche, durch Projizierung der Begriffe in die Welt der Wirklichkeit die Unterschiede der geraden und ungeraden Zahlen zu verwischen, wie es im »Ausgleich der Weltanschauungen« Buch II gegeißelt wird.

Mit dieser Richtung nehmen wir am besten die Denker zusammen, die in dem Überblick bei Zhuangzi erst am Schlusse stehen: Hizi und Gong Sunlong. Es heißt im Text über sie: 

»Hui Schi' hatte viele Methoden. Seine Schriften füllten fünf Wagen. Seine Lehren waren widerspruchsvoll, seine Worte trafen nicht das Rechte. Über alle Dinge machte er sich der Reihe nach Gedanken. Er äußerte unter anderem: 

>Das Größte, das nichts mehr außer sich hat, ist das Große Eine; das Kleinste, das nichts mehr innerhalb hat, ist das Kleine Eine (Atom). Diese (Atome) haben keine Ausdehnung und lassen sich daher nicht aneinanderreihen, und doch erfüllen sie tausend Meilen. Der Himmel ist so niedrig wie die Erde (nicht räumlich von ihr getrennt). Ein Berg ist eben wie ein Sumpf (wenn man die entsprechenden Maßstäbe anlegt). Die Sonne steht sowohl im Mittag als im Abend (je nach dem Standpunkt des Beobachters). Ein Ding ist sowohl lebendig als tot (je nach dem Zeitpunkt der Betrachtung)9. Die Südgegend hat keine Grenzen und hat doch Grenzen. Wenn ich heute einen Punkt erreiche, so war ich schon vorher angekommen (in Gedanken). Verschlungene Ringe lassen sich lösen (begrifflich). Ich kenne die Mitte der Welt: sie ist nördlich vom Nordland Yen und südlich vom Südland Yüo (Jeder Punkt kann als Mitte der Welt betrachtet werden). Für den, der alle Dinge mit seiner Liebe umschließt, ist Himmel und Erde einerlei.< Auf diese Weise machte sich Hui Schi' der ganzen Welt bekannt, und alle Sophisten kamen, um mit ihm zu disputieren und miteinander sich zu ergötzen.

>Im Ei sind Federn. Das Huhn hat drei Beine (2 Beine und Gehvermögen). Ying (die Hauptstadt von Tschu) besitzt die Welt (weil der König von Tschu Herr der Welt genannt wurde). Einen Hund könnte man ebensogut Schaf nennen (weil alle Namen willkürlich sind). Ein Pferd hat Eier (aus denen die Jungen sich entwickeln). Der Frosch hat einen Schwanz (als Kaulquappe). Feuer ist nicht heiß (an sich). Der Berg hat einen Mund (Echo). Das Rad drückt nicht auf die Erde (sondern berührt sie nur in einem Punkt). Das Auge sieht nicht (sondern der Mensch). Der Finger berührt nicht, das Berühren hört nicht auf. Die Schildkröte ist länger als die Schlange (an Lebenszeit). Das Richtmaß ist nicht viereckig. Der Zirkel kann nicht für rund gelten. Die Axtöse umschließt nicht den Stiel. Der Schatten eines fliegenden Vogels bewegt sich nicht. Der schnellste Pfeil hat in seinem Fluge eine Zeit, da er weder fliegt noch ruht. Eine Dogge ist kein Hund (sondern ein Hund + besondere Merkmale). Ein gelbes Pferd und ein brauner Ochs sind drei (weil das Pferd sowohl durch seine Gestalt als durch seine Farbe vom Ochsen verschieden ist). Ein weißer Hund ist schwarz (in den Augen). Ein verwaistes Kalb hat nie eine Mutter gehabt (solange es eine Mutter hatte, war es nicht verwaist). Wenn man von einem Stab, der einen Fuß lang ist, jeden Tag die Hälfte wegnimmt, kommt man niemals zu Ende.< Die Sophisten debattierten über solche Dinge mit Hui Schi'. Huan Tuan und Gong Sunlong waren solche disputierenden Gesellen. Sie beschönigten die Gefühle der Menschen und änderten ihre Gedanken. Sie besiegten zwar den Mund der ändern, aber gewannen nicht die innere Zustimmung der ändern.«

Es ist ein merkwürdiges Schauspiel, wie die Entwicklung des menschlichen Geistes an den verschiedensten Stellen auf einem bestimmten Punkte so parallele Erscheinungen erzeugt hat wie die Sophistik in Griechenland und China. Aber ebenso, wie es in Griechenland ernste Geister gab, die von den mutwilligen Ausschweifungen der Gedanken zurück ins Zentrum menschlichen Erlebens sich sammelten, so auch in China. Doch kehren wir zurück zu den taoistischen Schulen, deren eine in Mo Di und den Seinen sich so abseits entwickelt hatte.

Zwei andere sind noch genannt. Die eine ist die Richtung zur Einfachheit und zum Altruismus, die durch Sung Gien und Yin Wen (ca. 330 v. Chr.) vertreten ist. Die Leute dieser Richtung zeichneten sich durch eine besondere Kopfbedeckung aus. Diese Richtung hat merkwürdige Ähnlichkeit mit Tolstoi. Ihre Grundlehre war das »Nichtwiderstreben«. Es heißt von ihnen, dass sie die Tätigkeit der Seele eben in der Fähigkeit zum Dulden gesehen haben. 

»Sie suchten durch eine brennende Liebe die Menschen der Welt brüderlich zu vereinen. Die Bekämpfung der Lüste und Begierden war ihr Grundsatz. Wenn sie beschimpft wurden, hielten sie es nicht für Schande, nur darauf bedacht, die Menschen vom Streit zu erlösen. Sie verboten den Angriff und wollten Niederlegung der Waffen, um die Menschen vom Krieg zu erlösen. Mit diesen Lehren durchzogen sie die ganze Welt. Sie ermahnten die Fürsten und belehrten die Untertanen. Wenn auch die Welt ihre Lehren nicht annehmen wollte, so blieben sie umso fester dabei und ließen sie nicht fahren. Es hieß von ihnen, dass Hoch und Niedrig es vermied, mit ihnen zusammenzukommen, dass sie aber mit Gewalt sich Zutritt verschafften.«

Das Urteil, das über diese Richtung gefällt wird, lautet dahin, dass sie sich zuviel um andere kümmerten und zuwenig um sich. Sie hätten lieber Hunger und Not erduldet, als die Erlösung der Welt aus den Augen verloren. Tag und Nacht hätten sie sich keine Ruhe gegönnt, ja selbst das Leben hätten sie in die Schanze geschlagen, um an der Erlösung der Welt zu arbeiten.

Die andere Richtung, die von Pong Mong, Tien Pien, Shen Dao vertreten ist, scheint noch einen Schritt weiter gegangen zu sein. Es heißt von ihnen, dass ihr Hauptbestreben war, das Gleichgewicht der Dinge herzustellen. Sie sagten: 

»Der Himmel kann schirmen, aber nicht tragen; die Erde kann tragen, aber nicht schirmen. Der große SINN vermag zu umfassen, aber nicht zu beweisen. Alle Dinge haben ihre Möglichkeit und ihre Unmöglichkeit. Darum ist jede Wahl einseitig, jede Belehrung unzureichend, während der SINN nichts dahinten lässt.« 

Darum habe Shen Dao das Wissen verworfen und das Ich abgetan und sei nur der unabweisbaren Notwendigkeit gefolgt. Kühle Unabhängigkeit von der Außenwelt sei für ihn das Höchste gewesen. Er habe gesagt: 

»Ich weiß, dass ich nichts weiß.« 

Damit habe er das Wissen herabgesetzt und sei danach von andern verfolgt worden. Aber ohne Ehrgeiz und unabhängig, habe er sich von jeder amtlichen Tätigkeit ferngehalten und habe sich darüber lustig gemacht, wie die Welt die Weisen hochhalte. Frei und erhaben über alles Handeln, habe er die größten Heiligen der Welt verurteilt. Fest und unbeirrt im Innern, habe er sich von der Außenwelt umhertreiben lassen. Durch Enthaltung von aller Billigung und Missbilligung habe er alle Verwicklung zu vermeiden gesucht. Er habe picht die Weisen und Klugen zu Meistern genommen. Er habe nicht Zukunft und Vergangenheit erkennen wollen, sondern sei auf einsamer Höhe verharrt. Gestoßen nur sei er gewandelt, gezogen nur sei er gegangen, gleichsam als werde er von einem Wirbelwind getrieben, wie eine Feder, die umhergeweht wird, wie ein Mühlstein, der sich dreht. Er war so vollkommen in seiner Art, ohne der Missbilligung ausgesetzt zu sein; in Ruhe und Bewegung machte er nichts falsch oder verfehlt. Warum? Ein Wesen ohne Erkenntnis ist frei von dem Leid, das mit der Selbstbehauptung verbunden ist, und von den Verwicklungen, die mit dem Gebrauch des Wissens verbunden sind. In Ruhe und Bewegung richtet ein solcher sich nach den Naturgesetzen, darum bleibt er sein Leben lang frei von Lob. Darum sagte er: 

»Es bedarf nichts weiter als den Zustand des bewusstlosen Dings zu erreichen. Es bedarf nicht der Weisen und Heiligen.« 

Aber ein Erdklumpen verliert auch nie seinen Weg. Darum haben sich auch tatkräftige Menschen über ihn lustig gemacht und gesagt: »Die Lehren des Shen Dao sind nichts für die Lebenden, sondern geben seltsamerweise nur Gesetze für Tote ab.«

Pie'n Tien (der angeblich aus dem Staate Tsi stammt) ging ebenfalls bei Pong Mong in die Lehre und erlangte die Unterweisung ohne Worte. Der Lehrer Pong Mongs hatte gesagt: 

»Die Lehrer des SINNS im Altertum waren auf dem Standpunkt angelangt, nichts zu billigen und nichts zu verwerfen.« 

Diese Ausführungen enthalten manches, was an Liezi erinnert. Die Worte vom Himmel und der Erde, die nicht zu allem tauglich seien, sind in Liezi I, 3 als Worte Liezi's angeführt. Auch das >Vom Winde sich treiben lassen< hat in Liä DSU seine Parallele. Bei den spärlichen Nachrichten, die wir über alle hier erwähnten Personen haben (es existieren zum Teil Werke von ihnen, deren Authentizität jedoch nicht über jeden Zweifel erhaben ist) lässt sich sehr wenig darüber ausmachen, wie dieser Quietismus sich zu Liezi verhält. Liezi wird in Zhuangzi ja häufig verwendet. Zu denken gibt es, daß so gut wie alle Parallelstellen, die Zhuangzi mit Liezi gemein hat, dem zweiten Buch von Liezi entnommen sind. Nur Buch I kommt noch vor und sonst einige Stellen, die aus einer beiden gemeinsamen dritten Quelle stammen können.

Außer diesen Richtungen des Taoismus werden in einem Abschnitte Laotse und Guan Yin Hi, der Grenzwart vom Schan-Gu-Paß, dem Laotse den Taoteking hinterlassen haben soll, ohne Vorbehalt rühmend erwähnt. Von Guan Yin Hi werden einige Worte angeführt: 

»Wer nicht verharrt in seinem Ich, dem stellt sich das Wesen der Dinge an sich dar. Seine Bewegungen sind wie die des Wassers, in seiner Ruhe ist er wie ein Spiegel, in seinem Verhalten mit der Außenwelt ist er wie das Echo. Er ist unsichtbar, wie verschwindend, und durchsichtig, wie klares Wasser. Mit allen Wesen lebt er in Eintracht, das Trachten nach Gewinn hat er verloren; er sucht nie andere zu überholen, sondern bleibt stets hinter den ändern zurück.« 

Von Laotse finden sich eine Reihe mehr oder weniger freie Zitate aus Daodejing 28, 22 usw. angeführt. Einen Abschnitt für sich bildet dann schließlich die Schilderung des Zhuangzi, die unzweifelhaft aus der Hand eines begeisterten Jüngers stammt und ihn als den Höhepunkt der Entwicklung des Taoismus feiert.

Es wurde schon erwähnt, dass die konfuzianischen Schulrichtungen in diesem Überblick nur zu Anfang gestreift werden. Der Hauptvertreter des Konfuzianismus unter Zhuangzi's Zeitgenossen, Mengzi (Mencius), wird in Zhuangzi's Schriften kein einziges Mal genannt, ebenso wie wir in Mengzis Schriften vergeblich nach einer Nennung von Zhuangzi's Namen suchen. Diese Tatsache fällt um so mehr auf, als die Werke der beiden unzweifelhaft derselben Zeit angehören. Der ganze Vorrat an historischen Zitaten und Zeitanschauungen ist derselbe, und bei aller Verschiedenheit zwischen dem kristallen klaren Fluss der Rede bei Mengzi und dem schäumend blitzenden Stil des Zhuangzi zeigen sich doch manche Berührungspunkte. Und sie haben ja zeitweise sogar in derselben Stadt gelebt. Zhuangzi war aus dem Staate Wei im Westen des damaligen China und scheint auch zuweilen in dessen Hauptstadt Liang gelebt zu haben, und Mengzis Werke beginnen mit einer Erzählung seines Aufenthaltes in dieser Stadt. Was beiden Denkern gemein ist, das ist die zentrale Stellung ihrer Arbeit. Wie alle ganz Großen haben auch sie den Stoff des Daseins sozusagen vom Zentrum aus angefasst: sich fernhaltend von allen Verschrobenheiten und Extremen. Bei Zhuangzi ist es die objektive Überschau über das ganze Dasein vom Standpunkt der Ewigkeit aus, der objektive Idealismus, der auch einem Goethe die Augen geöffnet. Bei Mengzi umgekehrt ist die Wurzel des Idealismus im Subjekt, das sich entsprechend den ihm innewohnenden autonomen Gesetzen eine Welt der gesellschaftlichen Ordnung in das Chaos der Ungewissheit hineinbaut, ein Standpunkt, wie wir ihn, wenn wir Zeit- und Personenunterschiede beiseite lassen, bei Kant und Schiller finden.

Die deutsche klassische Geisteskultur ist eine Frucht des Zusammentreffens dieser beiden Richtungen in Goethe und Schiller. Nicht leicht ist es, dass diese beiden Seiten des großen Gegensatzes sich finden. Um ein Haar wären Goethe und Schiller in dem kleinen Weimar auch unbekannt aneinander vorbeigegangen. Was wäre dann wohl aus unserer klassischen Kultur geworden? In China ist der Fall eingetreten. Zhuangzi und Mengzi, der objektive und der subjektive Idealismus, blieben sich dauernd fremd. Die Folge war, dass der Taoismus, der stählenden Kraft starker Imperative entbehrend, sich immer mehr verflüchtigte in Wunderlichkeiten und Aberglauben, und der Konfuzianismus, ohne die belebende Fülle der weiten Gegensätze, erstarrte in einem System strenger Formen, aus denen immer mehr das Leben wich.