Shanghai
22. Dezember 1862

  Joseph Maria von Radowitz (Briefe aus Ostasien)

Hier geht es sans émotions le mème train. Etwas mehr Leben war in der letzten Woche in unserem verwunschenen Hause dadurch, dass Brandt aus Japan zurückgekommen war und bei uns wohnte. Das Wetter ist über alle Begriffe schlecht - Umgang mit anderen Menschen gibt es nicht, folglich bleibt nur die tägliche Arbeit und Lektüre. Die erstere ist in ihren wichtigen, theoretischen Aufgaben vorerst beendet und hat jetzt vorwiegend den Kanzlei- und Schreiberanstrich; die letztere ist natürlich recht unvollkommen, auf weniges englisches Zeug beschränkt. Im Hintergrunde der Zukunft leuchtet die »Gazelle« mit ihrer Bücherkiste, in der ich hoffentlich auch einige Nova über das hiesige Land finden werde.

Unsere Hauptaufgabe, die Ratifikation, von der wir seit Monaten glauben, sie sei so gut wie abgemacht, zieht sich bei jedem neuen Anlauf wieder in die Länge. Die Chinesen haben ein unerschöpfliches Talent, Schwierigkeiten aus Dingen herzuleiten, von denen kein anderer eine Ahnung hat. Geduld, nie aufhörende Geduld ist die Hauptinstruktion, die jeder hierher bekommen muss. Ob wir vielleicht in der Weihnachtswoche zu unserem Ziele kommen, ob wir es überhaupt ganz, d.h. auch für die anderen deutschen Staaten erreichen, ist noch Rätsel. Die Sache hat aber aufgehört, interessant und spannend zu sein. - Die vorige Post hat uns auch das erste Lebenszeichen vom neuen Minister (Bismarck), als Antwort auf die ersten Berichte aus Schanghai, gebracht. Er lässt sich wohlwollend aus, tröstet für die Zukunft und erzählt zur Beruhigung, dass die »Gazelle« herauskommen würde.