Shanghai
17. September 1862 II

  Joseph Maria von Radowitz (Briefe aus Ostasien)

Ich hoffe, wenn wir einmal in erträgliche Wärmeverhältnisse gekommen sind, mich viel mit allgemeinen und lokalen chinesischen Dingen befassen zu können, von denen der richtige Schanghaier Europäer wenig ahnt und weiß. 

Alle Straßen sind voll schreiender, schmutziger Lastträger, ab und zu erscheint der Zug eines Mandarins, zwischen allem treiben sich die chinesischen Händler in etwas reinlicheren Habiten herum — das ist alles, was man von China hier merkt. 

Die chinesische Stadt liegt abgeschlossen, von hohen Wällen und breiten Graben umgeben, für sich. Sie ist eng und von unerträglichen Gerüchen durchzogen, deshalb von Europäern, die nicht direkte Geschäfte da haben, gemieden. — Ebenso wenig charakteristisch ist die ganze natürliche Beschaffenheit von Schanghai. Trotz der Sommerhitze, die der der Tropen nichts nachgibt, gedeiht nicht eine Pflanze, nicht ein Baum, nicht ein Produkt, das von der schönen und reichen Südzone Zeugnis ablegte. Im Vergleich zu Syrien und Ägypten, mit denen die hiesige Gegend auf gleichem Breitengrade liegt, ist es ein steriles, elendes Terrain, und wenn ich an den Bosporus denke, an die Fülle und den Reiz seiner Vegetation, oder wenn ich die pflanzenarmen, aber doch so erhabenen Gegenden Griechenlands in Vergleich ziehe, so erscheint mir dieses hiesige Stück Erde von ausgesuchter Gemeinheit trotz seiner südlichen Lage.

Aber teile dieses Urteil einem hiesigen Kaufmann mit, so wird er mitleidig lächeln: denn in seinen Augen ist Schanghai Gold, pures Gold, ganze Dividende, reinster Profit. Es soll auf der Welt in diesem Moment kaum seinesgleichen haben in bezug auf immensen Aufschwung des Handels, und die Möglichkeit, binnen kurzem aus wenig ein Vermögen zu machen. Der ganze ostasiatische Handel mit den wichtigsten Artikeln, Seide und Tee, kulminiert jetzt hier und hat die Rivalinnen, auch Hongkong und Kalkutta geschlagen. Daher glänzt das Auge des Großhändlers, wenn er von Schanghai spricht. Aus China kann noch Ungeheures gewonnen und herausgeführt werden, hineingebracht wird dem armen Volke nichts außer überflüssigen Luxussachen und vernichtenden Passionen.

Unser kleiner Krieg gegen die Rebellen hat sich ziemlich beruhigt, wenigstens nicht mehr zu neuen, interessanten Expeditionen geführt. Die Rebellen sind aus der unmittelbaren Nähe der Stadt abgezogen, obgleich noch immer so nahe, dass sie allen Verkehr belästigen. Englischer- und französischerseits wird nunmehr für den Herbst ein Feldzug präpariert, der mit der Einnahme von Nanking enden soll. Damit wäre in diesen Provinzen die Rebellion besiegt.