Shanghai
17. September 1862

  Joseph Maria von Radowitz (Briefe aus Ostasien)

Seit dem Abgange meiner letzten Nachrichten hat das Missgeschick, das den Anfang in Schanghai begleitete, uns weiter verfolgt. Konstante Hitze von 27 bis 28 Grad Reaumur im Schatten von früh 7 bis abends 10 Uhr; in der Nacht 20-22 Grad. Dazwischen Regenschauer, die alles durchfeuchten, nicht aber abkühlen; dicke, schwere Luft und Ausdünstung von Land und Wasser, die beklemmend und Übelkeit erregend auf Lungen und Magen wirkt: so zeigt sich Schanghai in seiner eigensten Gestalt. Morast innen und außen, kein gesunder Luftzug in dem ganzen Warenlager, in das nichts hineinkommt, was nicht gewogen und verkauft werden kann. 

Unsere Wohnung liegt im amerikanischen Settlement (die Engländer, Franzosen und Amerikaner haben eigene Stadtteile, Settlements, deren Grund und Boden den respektiven Regierungen gehört), weit ab von dem englischen und französischen, und über eine Stunde von der chinesischen Stadt Schanghai. Zwei kleine Schlafstuben, eine gemeinsame Wohn- und Arbeitsstube oben und ein sogenannter Salon und Essstube unten machen den Wohnapparat des Generalkonsuls mit seinem Legationssekretär aus. Unsere europäischen Kollegen würden Kopf stehen, wenn sie uns hier sähen, noch mehr, wenn sie den Anfang unserer Menage miterlebt hätten!

Am 8. zog ich hier ein; Waldheim hatte schon 5-6 Tage vorher sich mit Fieber und Rheumatismus gelegt und war nun soweit, dass ich ihn in einer Tragbahre musste transportieren und sofort zu Bette legen lassen. Statt also zum ersten Male bei dem Um- und Einzug mir Dienste zu leisten, war er invalide und ich wurde sein Pfleger. Ebenso hatte sich der Bediente des Herrn v. Rehfues am Tage des Umzuges mit heftigem Fieberanfall gelegt, unfähig zu jeder Arbeit. Nun hatten wir noch vier Stück Chinesen, zwei davon als Köche; und während v. Rehfues sich damit abgab, diesen einen Schimmer von europäischer Nahrungsweise beizubringen, räumte ich meine eigenen Sachen aus und figurierte als Krankenwärter der beiden Bedienten. Waldheims Fieber ließ nach, der Diener von Rehfues wurde aber immer schlimmer; am 14. früh schickten wir ihn auf Anraten des Arztes ins Hospital -- und zwei Stunden darauf empfingen wir die Nachricht von seinem Tode. Am Montagabend haben Brandt und ich ihn begraben auf der anderen Seite des Flusses, in einem kleinen Kirchhofe, wo dicht neben seiner letzten Ruhestätte zwei Matrosen von der »Arcona« liegen, die hier 1861 zurückgeblieben sind. - So ist der erste Mensch von unserer kleinen Schar durch die Tücke des Klimas weggenommen worden!

Und jetzt, welche Existenz! Den Tag über kaum die Möglichkeit, einen Schritt vor die Türe zu setzen wegen der Hitze; zu Hause wüste Stuben und keine Erholung irgendeiner Art. - Du weißt, wie wenig Bücher ich mithabe, v. Rehfues hat nicht ein einziges, braucht auch keines, wie es scheint. Abends von 7 Uhr reite ich so oft wie möglich, aber nur, wenn es mir gelingt, einen Menschen zu finden, der mir mein Pferd, das noch in der Stadt steht, besorgen kann. Um 1/2 8 essen wir - das Essen ist ein Kampf mit dem chinesischen Koch, der beständig belehrt wird und kein Wort davon versteht. Nachher - Herumsitzen auf dem Balkon und in der Stube, geringe Konversation und möglichst viel Schlaf. Natürlich verliert sich ungern irgendein Mensch bis zu uns heraus, zumal die Gegend abends unsicher ist und von ordentlichem Weg und Steg kaum eine Spur.

Dabei die amtlichen Dinge unerquicklich, gehen auf Schneckenfüßen und drehen sich im selben monotonen Zirkel.

Das war und ist der Aufenthalt in Schanghai. Gott bessere es!