Shanghai
3. September 1862

Emil Rusfeldt, chinesisches Wohnzimmer, 1871 Joseph Maria von Radowitz (Briefe aus Ostasien)

Es hat uns genug gekostet, mit Klagen und mit der Darstellung der schwierigsten Verhältnisse beginnen zu müssen. Aber es war jedenfalls besser als die Fortsetzung der illusorischen Berichterstattung, die früher von hier gemacht worden, freilich von solchen, die gleich wieder abziehen konnten. Und zudem wollen wir nichts vom Ministerium - nur ihm reinen Wein einschenken und die Arbeit dann selbst tun.

Von der Entwicklung unserer hiesigen Verhältnisse ließe sich vieles sagen. Ich verspare mir das aber für gereiftere Zeit. Bis heute existieren wir noch gerade so wie vor 14 Tagen, d.h. jeder einzeln in dem Hause, das ihn von der Straße aufgenommen hat. Herrn v. Rehfues Bemühungen, ein eigenes Logis zu bekommen, begannen gleich nach der Ankunft und ließen uns weiter erkennen, dass Schanghai der teuerste Platz geworden, der vielleicht jetzt auf der ganzen zivilisierten Erde existiert. Die niedrigste Miete, die uns geboten wurde, blieb l .200 Pfund Sterling. Herr v. Rehfues konnte also nur daran denken, ein beschränktes Terrain für ihn und mich zu mieten, mit Verzicht auf dasjenige, was seine Stellung hier mehr als irgendwo erheischen würde. Er hat dies gefunden. Einstweilen wird es gereinigt und mit dem Notwendigsten versehen; dafür hat Herr v. Rehfues etwa 2.500 Taler ausgeben müssen. Andere Preise: Brandt bewohnt eine Stube (vom 4. September ab), daneben in einer Kammer sein Bedienter; Mietpreis 175 Taler monatlich. Kostgeld für einen Diener ohne Getränke 80 Taler monatlich; wer keine eigene Menage hat und im englischen Kommissariat mit den dortigen Offizieren isst, zahlt im Abonnement für Frühstück und Mittag ohne Wein monatlich 190 Taler. Unter einem Dollar (=11/2 Taler) gibt es nicht die geringste Kleinigkeit, keine Handleistung, keinen Barbier. Alle Dinge, die zum täglichen Lebensbedarf gehören, stehen in diesem Preisverhältnis. Nur einzelne Luxussachen sind verhältnismäßig wohlfeiler, und namentlich die Pferde zu den Preisen wie bei uns in der Heimat. Ein Pferd ist noch mehr als in Konstantinopel Lebens- und Bewegungsbedürfnis. Ich habe Pferd und Sattelzeug von dem abreisenden belgischen Generalkonsul nach hiesigem Preis billig zu 375 Taler gekauft. Unsere Bedienten stehen relativ am schlechtesten; während sie von uns 10 Taler bekommen, würde jeder europäische Diener von den Einheimischen 60 - 70 Taler bei freier Station sich verdienen können. Ich hoffe nur, dass dieser Apfel der Erkenntnis sie nicht zum Abfall verführt!

In amtlicher Beziehung hätten wir bekanntlich zum 2. September unsere Ratifikation tauschen sollen. Doch was wir vorhergesehen, ist eingetroffen: die chinesischen Behörden haben sich um nichts gekümmert, nichts vorbereitet, und wir werden vielleicht noch Monate warten, bis das Einfachste erreicht ist. - Herr v. Rehfues hat einstweilen erklärt, er müsse seinerseits den Vertrag als ratifiziert und gültig ansehen und werde danach verfahren. Wie weit wir nun kommen, werden wir sehen. Es war ein entschiedener Fehler, uns in Schanghai, statt in Tientsin, wo wir so nahe bei Peking wären, ratifizieren zu lassen. - Ich beginne jetzt die Organisation des Jurisdiktions- und Passwesens. Das erstere wird eine sonderbare legislatorische Arbeit werden und überall auf die größten Hindernisse stoßen. Aber mit Geduld und rücksichtsloser Konsequenz wird auch das zu machen sein.

Interessante Intermezzos hatten wir durch die Rebellen, die in nächster Nähe vor der Stadt standen und auch wohl wiederkommen werden. Brandt, Wittgenstein und ich haben die Ehre gehabt, hier zum erstenmal Pulver zu riechen, da wir uns nicht versagen konnten, den Expeditionen der hier garnisonierenden Engländer uns anschließen. Die erste war ohne Gefecht, die zweite (am 25.) führte zu einem ordentlichen Kugelwechsel, aber nur um das Unglaublichste von Feigheit auf selten der Rebellen zu zeigen, während allerdings auch die kaiserlichen chinesischen Truppen stets davonliefen, um ihren europäischen Alliierten Meldung zu machen. Das Ganze war eigentümlich und interessant, wenig gefährlich und nur getrübt durch die Beweise unmenschlicher Grausamkeit, die wir in den zerstörten Dörfern fanden.