Shanghai
Kein Obdach für den neuen Vertreter des Königs von Preußen im Chinesenlande 2, 15. August 1862

Platz in Shanghai um 1900 Joseph Maria von Radowitz (Briefe aus Ostasien)

Der Hafen von Schanghai ist sehr bedeutend; die Flaggen fast aller seefahrenden Nationen flatterten von den Masten der hier liegenden Schiffe. Nur im Goldenen Hörn habe ich ein ähnlich buntes Hafenbild gesehen. - Aber die Lage von Schanghai selbst hat wenig lockendes, wenig von den herrlichen Umgebungen von Hongkong und Singapore, von den Tropenstationen auf Ceylon und Penang gar nicht zu reden.

Flach und heiß, breit und einförmig, unsympathisch durchaus, so erschien uns Schanghai von ferne; und der erste Schritt ans Land stellte das Bild ganz fest: ein lauter, wüster Kaufmannsplatz, Heimat der Ballen und Fässer, verlassen vom Schönen und Heiteren, geflohen von jedem geistigen Lebenshauch, der sich nicht in barer Münze berechnen lässt.

Wir waren von der neuen Heimat wenig angeheimelt. Kein Mensch, der nach dem neuen Vertreter des Königs von Preußen im Chinesenlande gefragt hätte. Stundenlang zogen wir (bei drückendster Hitze) zwischen brüllenden, schleppenden, stoßenden, stinkenden Chinesen und der schlimmsten Sorte von Europäern herum. In dem einzigen amerikanischen Gasthofe keine Aufnahme wegen Überfüllung durch ein englisches und französisches Hilfskorps. Brandt (der spätere deutsche Botschafter in Peking) macht sich auf die Suche nach der »Königlich preußischen Behörde«, während wir auf offener Straße unser Gepäck bewachen. Nach zwei Stunden erscheint er wieder mit Herrn Overweg jun., charmanter junger Mann, weniger erfreut als überrascht uns vorzufinden, obgleich seit 14 Tagen im Besitze eines Erlasses des Ministeriums, der ihm anzeigte, dass wir zu erwarten seien. Herr Overweg jun. aber ist nur der Konsulatsvetter und der eigentliche Konsul (Senior) hatte für passend erachtet, sich nach Japan zu begeben. Junior versicherte tröstlich, er wisse kein Unterkommen und gab zu verstehen, es würde dem allseitigen Besten entsprechen, wenn wir wieder sofort nach Hause fahren wollten. Nachdem wir dies abgelehnt hatten, nimmt er freundlich Herrn v. Rehfues (Generalkonsul) in seinen Penaten auf, überlässt uns anderen aber, irgendwo sonst zu bleiben. Brandt findet alte englische Bekannte, die ihn platzieren, Wittgenstein hatte die Chance, einen deutschen Kaufmann zu ermitteln, der sich seiner bemächtigte, ich aber teilte mit Herrn Bismarck bis abends 9 Uhr noch das Schicksal der lieben Vögelein. Überwältigt von der Hitze und den Beschwerden des Tages ziehe ich zu Herrn Overweg jun. und eröffne ihm klar, dass ich eventuell auch in seinem eigenen Bette, jedenfalls aber bei ihm die nächste Nacht zubringen würde. Hierauf weist er mir eine Rumpelkammer an und bringt Bismarck bei einem anderen deutschen Kaufmann unter. Meine Stube lief in einen Balkon aus, dessen Türe ungeöffnet bleiben musste; das »Bett« entbehrte aber der Elementarvorsicht, die hier jeder Schlafende zu beobachten hat, nämlich des Vorhanges gegen Moskitos. So feierte ich darin eine Nacht im Kampfe gegen dieses fürchterliche Insekt. Ohne eine Sekunde geruht zu haben, mit geschwollenen Händen und Füßen, begab ich mich an das folgende Tagewerk des 15. August.

Dann nahm mich der deutsche Kaufmann, bei dem Bismarck wohnte, Herr Probst, in seine Behausung. Es hieß nun ein eigenes home zu finden. Kein Haus zu einem Mietspreise unter 1.200 -1.500 Pfund Sterling, d.h. 8.400 - 10.500 Taler! Und dazu der Generalkonsul mit einem Gehalt von 14.000 Taler inklusiv Wohnungsentschädigung. Alle anderen Preise in dem gleichen Verhältnis ; ein Zustand, wie er nur zeitweise in Kalifornien existiert hat, herbeigeführt durch die Anhäufung von englischen und französischen Truppen, welche die Stadt nicht verlassen können, ohne die ganz in der Nähe stationierten Rebellen zu ihren Meistern zu machen. Dabei ist der Handelsverkehr von Schanghai seit einem Jahr gewaltig gewachsen. 250 große Handelsschiffe liegen hier im Hafen, wo vor 14 Monaten kaum 70 waren. So stehen wir noch heute vor der Frage: wo bleiben wir? Denn die Existenz zu Gaste bei den Fremden wird unwürdig und unhaltbar. Außerdem musste uns bald klar werden, dass wir wenig Entgegenkommen von den eigenen Landsleuten zu erwarten haben würden. Wo wir glaubten, mit offenen Armen empfangen zu werden, ist zunächst Widerstand und Missvergnügen. Die Landsleute hier, und die Herren Konsuln an der Spitze, haben nicht die Gesichtspunkte mehr beibehalten, auf denen die heimischen Institutionen erbaut sind. Graf Eulenburg mitsamt seinen Herren haben sich, unter uns gesagt, eine schwere Menge von Illusionen und falschen Auffassungen aufbinden lassen. Wir tragen jetzt davon die Folgen. Aber wir werden uns durcharbeiten!