Shanghai
25. Jänner 1863

  Joseph Maria von Radowitz (Briefe aus Ostasien)

In meinem letzten Brief war ich dabei stehen geblieben, wie wir mit Lian die Relationen abgebrochen hatten. Es folgte eine Pause von einigen Tagen; dann war der erste Mann, der sich bei uns blicken ließ, mein Freund Weng Feng, mit dem ich das über den Haufen geworfene Protokoll verfertigt hatte. Wir waren bald in dem Prunkgemache des Hauses zu einer pidgeon-english Konversation etabliert. Diese ergab nach kaum einer halben Stunde das Resultat, dass erstens Weng und ich selbst uns in vortrefflicher Gesundheit befänden; dass zweitens das Wetter gewissermaßen scheußlich genannt zu werden verdiene; und dass drittens der Tee, den ich ihm offeriert hatte, das beste Getränk sei, welches je von einem Menschen, mit oder ohne Zopf, zu sich genommen worden. 

Nachdem somit die persönlichen Angelegenheiten erschöpfend erörtert worden, begann Weng zu fragen, ob ich vielleicht auch geneigt sei, wieder über das »polussia treaty pidgeon« (das preußische Vertragsgeschäft) mit ihm zu sprechen? Natürlich kostete es mir einige Mühe, mich auf diese Angelegenheit wieder dunkel zu besinnen, ich erklärte ihm aber nicht taub zu sein, wenn er etwas über diese Sache vorzutragen habe. 

Er vertraute mir denn an, was wir schon ahnen konnten, dass sowohl Lian wie er selbst von Anfang an geneigt gewesen seien, die Dokumentenfrage nach unserem Wunsche zu arrangieren, d. h. die Abschriften für die deutschen Souveräne zu geben. Beide aber stünden sie in der Gewalt des Generalgouverneurs der Provinz und kaiserlichen Kommissars Xie, des obersten Mandarins, von dem das ganze Geschäft geleitet werde. Xie sei in Bezug auf Geschäfte no fit und no clever, lebe nur in Angst, sich zu kompromittieren und etwas zu unternehmen, was nicht die Regierung in Peking ihm deutlich vorgepinselt habe. Da uns von den Dokumenten der anderen deutschen Fürsten nichts in seiner Instruktion gesagt sei, so wolle er sich unter keiner Bedingung auf etwas Derartiges einlassen. 

Nach vorhergegangener Besprechung mit meinem hohen Chef sagte ich ihm, er solle nun anstatt des Protokolles, eine offizielle Deklaration des Kommissars erlangen, in welcher derselbe sich verpflichte, über den streitigen Punkt neue Instruktionen einzuholen.

Nach nochmaligen Ausflüchten von Seiten der chinesischen Mandarine sah Herr v. Rehfues ein, dass es jetzt vor allem nötig sei, die Hauptsache ohne Verzug abzumachen, damit sie nicht an neuen Schwierigkeiten schließlich ganz scheitern möchte. Deshalb zeigte er den chinesischen Diplomaten an, er hätte nach den stattgehabten Verhandlungen die Überzeugung gewonnen, dass die Personen und der Ort hier nicht geeignet seien, die noch streitigen Fragen zu erledigen und müsse seine Vorschläge wegen der 22 Dokumente wieder zurückziehen, sich vorbehaltend, sie anderweitig anzubringen. Nunmehr hoffe er bestimmt am 14. Januar die preußische Urkunde endlich ausgewechselt und den Vertrag formell in Kraft getreten zu sehen. Damit erklärten sich die Mandarine befriedigt und niemand war froher als Weng, der mir gerührt beide Hände schüttelte und eine nie endende Freundschaft schwur.