Gefährliche Überfahrt

Karl Ritter von Scherzer (Reise der Österreichischen Fregatte Novara um die Erde, 1861)

Während der Kommodore und einige Offiziere seines Stabes auf einem Kanonenboot nach Kanton fuhren, unternahmen die Naturforscher einen Ausflug nach der dreißig Seemeilen von Hongkong entfernten portugiesischen Besitzung Macau, mit welcher englische Dampfer zweimal wöchentlich Verbindung unterhalten. Man legt in der Regel diese Reise in vier bis fünf Stunden zurück; der "Sir Charles Forbes" aber war ein kleiner, langsamer Dampfer, und da sich unsere Abfahrt infolge des massenhaften Einschiffens von Kisten mit Opium, für welches man eben in Macau einen bessern Preis zu erzielen hoffte, um mehrere Stunden verspätete und wir außerdem unterwegs mit Regenböen und konträrem Wind zu kämpfen hatten, kamen wir erst bei anbrechender Dunkelheit in Macau an. 

Wir waren nicht wenig überrascht, am Bord des Dampfers viele Passagiere mit Revolvern bewaffnet zu sehen. Allein dieser scheinbar übertriebene Verteidigungszustand auf einer Lustfahrt von wenigen Stunden hatte seinen guten Grund. Erst neulich soll es sich ergeben haben, dass die europäischen Passagiere während der Fahrt von Hongkong nach Macau durch die an Bord befindlichen Chinesen überfallen und ermordet wurden. 

Die schlauen Chinesen lauschten den Moment ab, wo Kapitän und Passagiere in der engen Schiffskajüte sich sorglos den Freuden der Tafel hingaben, bemächtigten sich des Schiffes und töteten alle an Bord befindlichen Europäer. Der Kapitän und einige Passagiere waren, um sich zu retten, ins Wasser gesprungen, aber nur einem einzigen Engländer gelang es zu entkommen und von diesem schauderhaften Ereignis Kunde zu geben. Die Piraten setzten, nachdem sie sich der ziemlich reichen Beute bemächtigt hatten, den Dampfer in Brand und entzogen sich jeder gerichtlichen Verfolgung, indem sie ins Innere des Landes entflohen. 

Höchst sonderbar ist für den Fremden die Art und Weise, wie man hier zu Lande Überfahrtsgelder, Zechen u.s.w. bezahlt. Gold ist nämlich fast gar nicht in Umlauf und die kursierenden Münzen, mexikanische Taler und Kupfergeld oder Käsch sind zu schwerfällig, um größere Beträge bequem bei sich tragen zu können. Um die Ausgaben einer Lustfahrt von ein paar Tagen zu bestreiten, müsste man stets einen schweren Sack bei sich führen und würde überdies der Gefahr ausgesetzt sein, dass derselbe irgendwie abhanden kommt. Es besteht daher die vortreffliche Einrichtung, dass jeder Passagier sein Fahrgeld und andere Auslagen mittels einer Anweisung (cheque) auf irgendein in Hongkong oder Macau etabliertes Handlungshaus begleicht, die mit der bereits ausgefüllten Summe dem Passagier vom Kontrolleur zur Unterfertigung vorgelegt und bei dessen Rückkehr einkassiert wird. Diese Sitte ist gleichzeitig ein merkwürdiger Beweis für das große gegenseitige Vertrauen im öffentlichen Leben, wenngleich berücksichtigt werden muss, dass die Mehrzahl der Passagiere bekannt sind und China bisher meist nur von bemittelten Fremden besucht wurde. Aber auch in den Vereinigten Staaten herrscht im öffentlichen Verkehr überraschend viel Vertrauen, und die Fälle, wo Missbrauch getrieben stehen jedenfalls nicht im Verhältnis zu dem Wohlbehagen und dem gemeinnützigen Geist, welche das erstere in der Gesellschaft erweckt. 

Die Überfahrt von Hongkong nach Macau ist nicht ohne Interesse. Der Kurs des Dampfers führt anfangs durch enge Kanäle zwischen hohen Granitinseln. Sobald man aus diesen heraus ins offene Fahrwasser gelangt, zeigt die immer trüber und schmutziger werdende Farbe des Wassers, dass man sich vor der eigentlichen Mündung des Kantonflusses befindet. Man sieht stattliche Schiffe ein- und auslaufen, Dschunken und Fischerboote in großer Anzahl hin- und herfahren. Der gewaltige, 300 Fuß hohe, kegelförmige Pik der Insel Lantao und der gegenüberliegende spitze Castle-Pik auf dem Festlande der Provinz Guangdong, von oben nach unten von einer tiefen Furche durchrissen, bilden den Hintergrund. Ein so vulkanähnliches Aussehen diese Piks auch wegen ihrer regelmäßigen konischen Form haben, so sind dieselben doch höchst wahrscheinlich nur Granit- oder Porphyrkegel. Die Mündungen des Kantonflusses sind dermaßen breit, dass erst allmählich die gegenüberliegenden Küsten auftauchen, und die nach allen Richtungen unabsehbar ausgedehnte Wasserfläche lässt fast glauben, man befinde sich auf offener See. Noch ehe die Häuser von Macau deutlich wahrgenommen werden können, passiert man schon die Kauffahrer, welche auf der Reede liegen, denn größere Schiffe müssen 6 bis 8 Seemeilen weit von der Stadt ankern. Der besser geschützte kleine, sogenannte "innere Hafen" jenseits der schmalen Landzunge, auf welcher Macau liegt, ist nur für kleine Fahrzeuge und chinesische Dschunken zugängig, welche denselben in großen Mengen besuchen. Der Anblick der Stadt Macau ist nicht minder reizend als der von Viktoria. Die Häuserreihen gruppieren sich höchst malerisch um die mit Forts gekrönten zahlreichen Hügel der Landenge und die schöne Praya Grande, wo dicht am Strande, der erfrischenden Seebrise ausgesetzt, Paläste und imposante Wohngebäude in langer Reihe neben einander sich erheben, macht auf den Fremden einen überraschenden Eindruck. Kirchen mit hoch emporragenden Doppeltürmen und die mächtige Kuppel des Jesuitenkollegiums charakterisieren die Stadt als eine katholische und unterscheiden sie schon durch ihre äußere Erscheinung wesentlich von der benachbarten englischen Ansiedlung. 

Macau ist ein Lieblingsort der in Hongkong angesiedelten Fremden, um zeitweilig eine Luftveränderung zu genießen, welche unter diesen Breitegraden noch nötiger erscheint als in Europa. So lange Kanton der Hauptsitz der europäischen Kaufleute war, galt die portugiesische Ansiedlung als Sommeraufenthalt für ihre Familien, wohin sie selbst zuweilen aus dem Getümmel und der Unsicherheit des Lebens in Kanton flüchteten, um einige friedliche Tage mit den Ihrigen zu verbringen. Infolge der Kriegswirren der letzten Jahre waren die meisten Kantoner Kaufleute nach Hongkong und Macau übersiedelt, wodurch die letztere Stadt ein ungewöhnlich lebhaftes Aussehen erhielt, und auch ihr Handel, der sonst ganz darnieder lag, wesentlich an Bedeutung gewann. 

Wenn der Dampfer vor der Reede von Macau erscheint, wird er sogleich von zahllosen, meist von Weibern geführten sogenannten Tanka-Booten umschwärmt, welche unter fürchterlichem Geschrei sich gegenseitig den Rang streitig machen, die Passagiere ans Land setzen zu dürfen. Da an der Ostseite der Reede kein eigentlicher Landungsplatz besteht, so wird man in diesem nussschalenförmigen kleinen Fahrzeug, ähnlich wie in Madeira oder Madras, auf eine nichts weniger als behagliche Weise durch die heranbrausenden Wellen ans Ufer geworfen und obschon das unscheinbare Fahrzeug sowie die Art seiner Handhabung durchaus nicht viel Vertrauen einflößen, so sollen doch ernste Unglücksfälle damit nur äußerst selten vorkommen. 

Unser erster Besuch am nächsten Morgen - einem reizenden herrlichen Sonntagsmorgen - galt der berühmten Camoens-Grotte in einem schönen, großen, halb urwüchsigen Park, dem Besitztum der portugiesischen Familie Marquez, in weihevoller Stille gelegen. Hier war es, wo Camoens aus dem Vaterlande verbannt, die "Lusiade" schrieb. Der Park mit seinen duftigen, schattigen Gängen, seinem majestätischen Blätterdom, der selbst den mächtigen Strahlen der Tropensonne den Zutritt verwehrt, seinen gewaltigen, von den riesigen Wurzeln uralter Fikusbäume umklammerten Felspartien, seiner kühlen Atmosphäre, dem schlüpfrigen Moosüberzug seiner Wege, dem Schutt verfallener Mauern und seiner grabähnlichen Ruhe, erscheint wie geschaffen zum Asyl eines heimatverbannten Dichters, welcher, statt wie gewöhnliche Erdenkinder sein Geschick schweigend zu beweinen, in diesem wundervollen Tropenhain zu neuen, hehren, unvergänglichen Gesängen sich begeistert fühlte! Im Unterbaue der Grotte steht in einer unschönen Nische die Büste des großen Dichters aus rotem Ton mit der Unterschrift: "Louis de Camoens, nasció 1524, murió 1579." Am breiten marmornen Piedestal, worauf diese, wenig künstlerischen Geschmack bekundende Büste ruht, sind verschiedene Verse aus der "Lusiade" mit eisernem Griffel eingegraben. Früher soll diese Grotte ein weit zierlicheres Aussehen gehabt haben, aber der gegenwärtige Besitzer glaubte sie zu verschönern, indem er einen Zubau machen ließ, wodurch das Ganze seinen früheren höchst originellen Charakter völlig einbüßte. Von einem Punkte über der Grotte, der sogenannten Sternwarte, und angeblich von Camoens als solche benützt, genießt man einen reizenden Blick über den inneren Hafen und die ameisenartige Tätigkeit, welche darin herrscht. 

Ganz in der Nähe dieses einstigen Dichterasyls befindet sich das Bethaus und der Friedhof der ungefähr zweihundert Mitglieder zählenden evangelischen Christengemeinde. Der interessanteste und großartigste Bau, der im Jahre 1563 auf der fünf Quadratmeilen umfassenden Halbinsel Macau von den Portugiesen gegründeten Ansiedlung ist aber der Pagodenhain Makok im inneren Hafen, dicht am Abhang eines Hügels zwischen malerischen Granitfelspartien, mit riesigen chinesischen Inschriften und herrlichen Baumgruppen sich hinziehend. Am Eingang zu diesem Götterpark steht ein großer phantastisch geschmückter Buddhistentempel, von einer Anzahl Gemächer umgeben, in welchen die Priester wohnen, ihren Haushalt führen, Kerzen und Opferpapier für die Götzendienst bereiten, und wo sich gleichzeitig einige Privataltäre von Göttern befinden, deren Einfluss und Schutz, wie es scheint, zweideutige Chinesenfrauen nicht öffentlich anzuflehen wagen. In den Granitfels gehauene Stufen führen bis auf den höchsten Punkt der etwa zweihundert Fuß über das Meer sich erhebenden Anhöhe, auf welcher gleichfalls ein Tempel errichtet ist. Zur Zeit unseres Besuches erstieg gerade eine Anzahl Buddhistenpriester in 102 langen gelben Faltenkleidern unter dem Vortritt von Flötenspielern die geweihte Höhe, um daselbst ihre Gebete zu verrichten. Als sie zurückkehrten, verteilten sie im Hofraume des Tempels unter die anwesenden armen Christenkinder eine große Quantität Backwerk und Früchte. 

Wir besuchten einige der angesehensten in Macau angesiedelten Fremden, darunter Dr. Kane, einen englischen Arzt, welcher seit Jahren in der Kolonie lebt. Derselbe war so freundlich, uns den Kopf einer Statue aus der berühmten neunstöckigen oder Blumenpagode bei Kanton zum Geschenk zu machen, welchen er während eines Besuches dieses halbverfallenen Bauwerkes im März 1857 als Fragment einer lebensgroßen, einen Schüler Buddha's darstellenden Figur aus Ton im siebenten Stockwerk auf dem Boden liegen fand. Die imposante, 160 Fuß hohe Pagode wurde vor beiläufig tausend Jahren erbaut, und dies dürfte auch das Alter des Standbildfragmentes sein. 

Die Einwohnerzahl Macaus beläuft sich gegenwärtig auf ungefähr 97.000 Seelen; davon sind 90.000 Chinesen und 7.000 Portugiesen und ihre Mischlinge. Fremde anderer Nationen leben nur sehr wenige auf der Halbinsel. Der Haupthandel der Ansiedlung besteht in Opium, welches von hier in großen Quantitäten nach dem Innern des Landes den Weg nimmt. Hongkong ist zu nahe, weit günstiger gelegen und von einer viel zu energischen Rasse besiedelt, als dass Macau, namentlich in den Händen der verkommenen Portugiesen, irgend eine kommerzielle Bedeutung erlangen könnte. Portugal zieht auch aus seiner Kolonie nur sehr geringen pekuniären Vorteil, und bloß nationaler Stolz will es nicht zulassen, diesen dem Land mehr lästigen als einträglichen Besitz den Engländern oder Nordamerikanern käuflich abzutreten. Allerdings verursacht die Verwaltung dieser Kolonie der portugiesischen Regierung nur sehr wenige Kosten, indem diese zum größten Teil von den Kolonisten selbst bestritten werden. Sowohl der Gouverneur, welcher jährlich an 6.000 spanische Taler Gehalt bezieht, als auch die 400 Mann zählende Militärmacht und das kleine im Hafen stationierte Kriegsschiff werden von der Ansiedlung unterhalten.

Menschenhandel 

Macau ist dermalen der Hauptplatz für die Verschiffung von chinesischen Arbeitern oder Kulis nach Westindien. Es sollen jährlich über 10.000 Chinesen, welche Hunger und Mangel an Arbeit dazu treibt, sich gewissermaßen als Sklaven an Menschenhändler zu verkaufen, um fern von der Heimat kümmerlich ihr Leben zu fristen, von Macau nach Havanna spediert werden. Wir haben das Haus besucht, in welchem diese erbarmungswürdigen Wesen bis zur Abfahrt des Schiffes eingesperrt werden, haben die abgezehrten, hageren Jammergestalten gesehen, welche trotz des unsicheren Schicksals, das ihrer harrt, sich an portugiesische und spanische Seelenmäkler verdingen. Sie machen sich kontraktlich anheischig, gegen kostenfreie Verpflegung und Überfahrt nach ihrer Ankunft in Havanna acht Jahre hindurch bei irgend einem ihnen angewiesenen Dienstherren für vier Dollars monatlich zu arbeiten, ein Lohn, welcher bedeutend geringer als derjenige ist, den man im Lande an einheimische Arbeiter und selbst an gemietete Sklaven bezahlt. Die erhebliche Differenz kommt aber weniger den westindischen Pflanzern als jenen Spekulanten zu Gute, welche die Importation von Chinesen besorgen und für jeden einzelnen eine sehr hohe Prämie ausbezahlt erhalten. Die Überfahrt, welche in der Regel vier bis fünf Monate dauert und per Individuum siebzig Dollars kostet, geschieht gewöhnlich auf französischen, portugiesischen, englischen und leider auch auf deutschen Schiffen. Welchen Qualen die armen Emigranten schon während der Reise ausgesetzt sind, geht aus der Tatsache hervor, dass nicht selten eine Anzahl dieser Unglücklichen über Bord springt, um durch den Tod in den Wellen ihren Leiden ein Ende zu machen. Es sind Fälle vorgekommen, dass durch schlechte Kost und Misshandlung 38 Prozent der eingeschifften Emigranten während der Überfahrt starben ! Die Gesellschaft, welche diese Menschenausfuhr besorgt, nennt sich "La Colonisadora" und hat ihren Hauptsitz in Havanna. Jeder Chinese muss vor seiner Abreise von Macau einen Kontrakt unterfertigen, welcher ausschließlich die Interessen der Gesellschaft berücksichtigt und worin die armen Emigranten sogar ausdrücklich auf jene Vorteile verzichten, welche ihnen aus gewissen Paragraphen des spanischen Auswanderungsgesetzes vom Jahre 1854 erwachsen, die sich auf die Aufhebung des eingegangenen Vertrages beziehen. Nachdem gewöhnlich nur die allerärmste, hilfloseste, unwissendste Klasse auswandert, so wird der Vertrag ohne viel Skrupel unterzeichnet und später, wenn der Emigrant in der Fremde die Verkürzungen und Bedrückungen wahrnimmt, die er im Vergleich zu ändern Arbeitern zu erdulden hat, hindern ihn die eingegangenen Verpflichtungen, den Schutz der spanischen Behörden ansprechen zu können. dass diese aber bei den strengen Kontrollen, welche sie sonst über jede Art von menschlicher Tätigkeit üben, das Vorgehen der Kolonisationsgesellschaft stillschweigend dulden, zeigt hinlänglich, dass ihnen das Interesse einzelner Gesellschaftsklassen und die Vermehrung der Arbeitskräfte der Insel mehr am Herzen liegt, als das Wohl der Gesamtheit. 

Während jedoch einerseits die Art und Weise, wie die Kolonisationsgesellschaft zu Macau chinesische Emigranten nach fremden Ländern zu befördern sich beeifert, den entschiedensten Tadel verdient, ist andererseits kein Land der Welt besser als China geeignet, mit der ungeheuren Menge seiner überschüssigen Arbeitskräfte den bevölkerungsarmen Staaten und Inseln Asiens, Amerikas und Australiens zu Hilfe zu kommen. Der Chinese vermag besser als irgend eine andere farbige Rasse klimatischen Einflüssen zu trotzen, er ist auch in bezug auf Eifer, Arbeit und Gewandtheit, auf Anstelligkeit für alle Gewerbe und industrielle Verrichtungen weit geeigneter als der Neger, seine Rasse über die verschiedensten Teile der Erde auszubreiten. 

Der englischen Regierung gebührt die Anerkennung, gegen diese Art von Menschentrafik energisch protestiert und alle Schritte versucht zu haben, welche eine Linderung der Leiden der auf solche Weise Exportierten zur Folge haben konnte. Ihr Vertreter in Havanna, Mr. Crawfurd, war der erste und einzige, der es unternahm, der spanischen Kolonialregierung dringende Vorstellungen über die geringe Sorge zu machen, welche sie den chinesischen Einwanderern zuwendet und der wiederholt die öffentliche Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand richtete. Durch eine humane und gerechte Regelung des Auswanderungssystems in China möchte nicht bloß der Humanität, sondern auch den Arbeitskräfte suchenden Ländern ein großer, wichtiger Dienst erwiesen werden, indem bei der Unmasse von überschüssigen Kräften in China sich nicht nur eine weit größere Zahl, sondern auch tüchtige, taugliche Arbeiter zur Auswanderung entschließen möchten, sobald eine Ansiedlung in fremden Ländern ihnen Selbstständigkeit und einen entsprechenderen Lohn für ihre Tätigkeit gewähren würde. 

Die Grausamkeit und Ungerechtigkeit, mit welcher man gegen die armen Emigranten verfährt, haben wiederholt schon furchtbare Aufstände zur Folge gehabt. Der "China Overland Trade Report", der in Hongkong erscheint, berichtet am 28. Februar 1861 von einer solchen "Tragedy", welche sich an Bord eines Emigrantenschiffes eben erst wieder zugetragen hat. Der amerikanische Kauffahrer "Leonidas" segelte am 22. Februar 1861 mit einer Anzahl chinesischer Kulis von Kanton nach Havanna. In der Nähe von der sogenannten Macau-Passage entstand plötzlich im Zwischendeck ein heftiger Lärm. Zwei Offiziere, welche hinabeilten, die Ursache davon zu ergründen, wurden von den Kulis erfasst und durch Messerstiche schwer verwundet. Inzwischen hatten sich einige Kulis des Kapitäns und seiner Frau bemächtigt und denselben gleichfalls zahlreiche Wunden beigebracht. Gleichwohl gelang es, sämtliche Kulis wieder in den unteren Raum zu treiben, nachdem 29 im Kampfe erschossen worden waren. In ihrer Verzweiflung versuchten sie nun, das Schiff in Brand zu stecken, indem sie einen Scheiterhaufen bereiteten und denselben anzündeten. Allein der Rauch wurde in dem engen Raum bald so unerträglich, dass sie selbst alle Anstrengungen machten, das Feuer wieder auszulöschen. Das Schiff kehrte nach Kanton zurück. Von 250 Kulis fehlten 94, welche teils erschossen wurden, teils sich ersäuften oder entkamen. Merkwürdiger Weise verweigerte das französische Kriegsschiff "Durance", Hilfe zu leisten. 

Andere Berichte sprechen sich äußerst günstig über die Anstrengung deutscher Missionare aus, um diesen Menschenhandel zu beschränken und namentlich den sogenannten "Kulifang" (Kidnapping) zu verhindern, indem es sich bisher nicht selten ereignete, dass man junge Chinesen unter irgend einem Vorwand nach Macau zu verlocken suchte, um sie dort förmlich zu verkaufen. Dies konnte um so leichter geschehen, als die Chinesen bekanntlich sehr leidenschaftliche Spieler sind, und nachdem sie ihre ganze Habe verspielt, sogar ihren Leib einsetzen. 

Der Sohn angesehener Eltern in Sunon war auf solche Weise kürzlich erst an die Emigrantengesellschaft in Macau für 40 Dollars verkauft worden und nur der eifrigsten Bemühung deutscher Missionare gelang es den armen Chinesen für 60 Dollars zurückzukaufen und dadurch von einem grauenvollen Geschick zu erlösen. Zwei andere junge Chinesen waren bereits verschifft, als der Handel, den man mit ihnen getrieben, bekannt wurde. 

Rache der Geister? 

Unser Gastgeber, Herr v. Carlowitz, hatte die Güte, uns auf unseren verschiedenen Wanderungen persönlich zu begleiten und auf die interessantesten Punkte und Erscheinungen, die sogenannten "Lions" der Stadt besonders aufmerksam zu machen. Auf einem Hügel der Umgebung, dem ungefähr 200 Fuß hohen, von einer Besatzung von 150 Mann bewachten Monte-Fort genießt man die günstigste Rundschau und mag den Blick nach dem, zur Zeit unseres Besuches feindlich gestimmten chinesischen Dorf Wangxia streifen lassen, wo am 3. Juli 1844 der erste Friedens-, Freundschafts- und Handelsvertrag der Vereinigten Staaten von Nordamerika mit dem chinesischen Reich geschlossen und unterzeichnet wurde. Ein anderer, am äußersten Ende der Halbinsel gelegener 300 Fuß hoher Hügel, auf welchem seit Jahren von den Portugiesen ein Fort erbaut werden soll, ohne dass seitdem mehr geschehen wäre, als die Bausteine dazu herbei zu schaffen, beherrscht die Landzunge und den östlichen Teil der Insel und lohnt dem Wanderer reichlich die Mühe des Erklimmens. 

Auf dem Weg dahin, welcher zugleich die Hauptverbindung mit dem chinesischen Festland bildet, kamen wir an der Leiche eines Kulis vorbei, der dem Anschein nach schon mehrere Tage mitten auf der Straße lag. Ein Teil des Kopfes und der rechten Hand waren bereits von Aasgeiern entfleischt und ein ungeheurer Schwärm von Geziefer hatte sich auf den übrigen Teilen des nackten, angeschwollenen Kadavers angesiedelt. Der Arme war augenscheinlich der Not und dem Mangel erlegen. Die Kräfte schienen ihn verlassen zu haben, als er eben seinem kümmerlichen Gewerbe nachging. Zwei leere halbzerbrochene Tragkörbe lagen dicht daneben. Zahlreiche Menschen gingen täglich vorüber, Männer, Weiber, Kinder, sogar promenierende Portugiesen nahmen zu Fuß und zu Pferde diesen Weg, ohne dass sich irgend jemand darum gekümmert hätte, diesen entsetzenerregenden Gegenstand zu entfernen. Selbst Vorstellungen fremder Konsuln finden in dieser Beziehung von Seite der portugiesischen Behörden wenig Berücksichtigung und es soll daher keineswegs zu den Seltenheiten gehören, menschliche Kadaver auf offener Straße verwesen zu sehen. 

Einen nicht minder grauenvollen Anblick boten am Abhänge eines Hügels ein paar Dutzend kleine niedere aus Palmenstroh notdürftig errichtete Hütten, welche einer Anzahl Kranken und Aussätzigen zur Unterkunft dienten, die hier, von aller Welt gemieden und verlassen, jämmerlich zu Grunde gingen. Von den Chinesen wird der Aussatz als eine Strafe des Himmels für geheime Sünden angesehen und die damit Behafteten entbehren daher jeglicher Pflege und Teilnahme. Vielleicht war auch der Kuli, dessen Leichnam in der Nähe dieser Kolonie auf dem Weg lag, einer jener Unglücklichen, die sich hier gleichsam auf ihrer künftigen Grabstätte niedergelassen hatten. 

Der Isthmus, welcher die portugiesische Ansiedlung auf der Halbinsel mit dem chinesischen Festland verbindet, ist kaum eine viertel englische Meile lang und 500 Schritte breit. Früher war fast in der Mitte dieser schmalen Landzunge eine Mauer gezogen, welche die Grenze der portugiesischen Ansiedlung bezeichnete. Chinesische Wachposten marschierten hier zum Schutze des Reiches auf und ab. Dies hinderte jedoch nicht, dass die "Macaoistas", wie sich die Bewohner Macau's zu nennen pflegten, häufig Ausflüge und Vergnügungspartien nach dem gegenüberliegenden Festland unternahmen und die benachbarten chinesischen Dörfer besuchten. Als aber am 22. August 1848 der damalige Gouverneur von Macau, Senhor Joao Maria Ferreira do Amaral, während eines Spazierrittes auf der Landenge von ein paar bewaffneten Chinesen überfallen, vom Pferde gerissen, enthauptet und dessen Schädel und Hand von den Mördern mit fortgenommen worden war, zerstörten die Portugiesen die Grenzmauer und das in der Nähe gelegene chinesische Fort, so dass dermalen von beiden nur mehr Trümmer übrig geblieben sind. Die Regierung von Macau bestand auf der Auslieferung der Mörder, sowie des Kopfes und der Hand des Ermordeten, allein erst nach einem Jahre erhielten die Behörden von Macau die offizielle Anzeige, dass der Mörder entdeckt und nach erfolgten Geständnis seiner Tat zu Shundi hingerichtet worden sei. Der Kopf und die Hand Amaral's wurden durch zwei chinesische Kommissäre den portugiesischen Behörden ausgeliefert und zu den übrigen Körperteilen feierlich begraben. 

Aus dem Briefwechsel, welcher über diesen Vorfall zwischen den portugiesischen und chinesischen Behörden stattfand, geht hervor, dass der Gouverneur Amaral durch gewisse Gewaltmaßregeln seit längerer Zeit die chinesische Bevölkerung von Macau gegen sich aufgebracht hatte. Namentlich rief es die größte Erbitterung hervor, dass Amaral die Gräber ihrer Vorfahren in den Vorstädten von Macau entweihte, und mitten durch dieselben oder über sie hinweg neue Straßen anlegen ließ. 

Jeder Krankheitsfall, jede unglückliche Spekulation, jedes unerwartete Ereignis, welches einem der in Macau lebenden Chinesen begegnete, wurde der Rache jener Geister zugeschrieben, deren irdische Überreste auf eine wenig rücksichtsvolle Weise entfernt worden waren. Die Chinesen besitzen keine besondern Ruhestätten für ihre Toten. Sie begraben dieselben irgendwo außerhalb der Ansiedlung und bezeichnen den Ort mit einem Stein oder einer Inschrift. Am Neujahrsfest sollen diese Gräber stets auf die bunteste Weise geschmückt erscheinen und keines, auch das ärmste nicht, vergessen werden. Es steht dieses Gefühl der Pietät für die Toten im schroffen, seltsamen Widerspruch zu der Gleichgültigkeit, mit welcher die Chinesen in der Regel auf nebenmenschliches Leben blicken, zu der Grausamkeit, mit welcher selbst Mütter neugeborene Kinder aussetzen und dem Tode preiszugeben pflegen. 

Der Verkehr zwischen Macau und dem chinesischen Festlande ist auffallend groß. Wir zählten während eines viertelstündigen Aufenthaltes auf der Landzunge mindestens 60 Menschen, welche, beladen mit Waren und Lebensmitteln aller Art, nach der portugiesischen Ansiedlung gingen oder von dort zurückkehrten. Auch Sänftenträger waren darunter, die vermöglichere Chinesen, welche Geschäfte in Macau besorgt hatten, nach den benachbarten Dörfern zurücktrugen. Der Einfluss der Kriegswirren in Kanton und am Peiho wurde indes auch von der europäischen Bevölkerung in Macau verspürt. Die Unsicherheit des Lebens und des Eigentums mehrte sich mit jedem Tage. Man wagte nicht, sich auch nur einige Meilen von der Stadt zu entfernen. Selbst das von Fremden errichtete, reizend gelegene Pique-nique-Haus auf dem benachbarten "Green-Island" stand seit Monaten leer und verwaist. Nur die Praya Grande oder vielmehr der schattige Spaziergang an ihrem östlichen Ende diente nach wie vor zum Stelldichein der schönen Welt, und an Sonntagen, wenn in den Nachmittagsstunden eine Musikbande spielt, kann man sich nur mit Mühe durch die daselbst lustwandelnden Paare drängen. 

Die Portugiesen, schon im Mutterlande kein schöner Menschenschlag, verlieren noch mehr an physischen Vorzügen durch die wenig skrupulöse Weise, mit welcher sie sich in ihren Kolonien mit den farbigen Völkern vermischt haben. Desto auffallender stechen einzelne anmutvolle, blendend weiße Frauengestalten der anglo-sächsischen Rasse aus der dunklen, hässlichen Menge hervor. Abends, wenn die Sonne dem Untergang nahe, lassen sich diese zarten Erscheinungen in sogenannten Sedan-Chairs oder auch in geflochtenen Rohrstühlen nach dem Campo San Francisco tragen, um die Kühle des Abends und die erfrischende Seebrise zu genießen. Eine große Anzahl Sänftenträger macht dann mit ihrer edlen Last auf dieser schönen Promenade Halt, und elegante Herren in zierlich weißer Toilette eilen herbei, sich liebenswürdig zu zeigen und durch galante Phrasen und schmeichelnde Bemerkungen ein holdseliges Lächeln zu verdienen. Während Tragstühle die gewöhnlichsten Verkehrsvehikel bilden, sahen wir nur drei oder vier Reitpferde und eine einzige Equipage, das Eigentum eines für 40.000 Dollars baronisierten dunkelbraunen Eingeborenen, welcher jedenfalls seinen Luxus mit vielem Geschmack zur Schau zu tragen versteht. 

Es war uns so viel von wunderbaren, "singenden Steinen" erzählt worden, welche jenseits des inneren Hafens, auf einem der Halbinsel gegenüberliegenden großen Eiland vorkommen sollen, dass mehrere Mitglieder der Expedition einen Ausflug dahin unternahmen. Nicht nur Eingeborene, sondern selbst Europäer wussten sich diese eigentümliche Erscheinung nicht zu erklären und meinten, die "singenden" Steine müssten geheimnisvolle Metalle bergen und Elektrizität und Magnetismus dabei im Spiele sein. Herr v. Carlowitz, Dr. Kane und ein chinesischer Arzt, Dr. Wong-fun, begleiteten die Naturforscher nach dem rätselhaften Ort, ein Franzose war ihr Führer. Der liebenswürdige, vielfach gebildete Wong-fun war in Edinburgh, wo er Medizin studierte, zum Doktor promoviert worden, hatte sich später zur Vermehrung seiner Kenntnisse noch einige Zeit in den Vereinigten Staaten von Nordamerika aufgehalten und übte nun in Macau mit großem Erfolg die Heilwissenschaft unter seinen Landsleuten. Europäer durch Gesinnung und Bildung, war er in seiner äußeren Erscheinung doch wieder Chinese geworden und trug wo möglich einen noch längeren Zopf wie früher. Vielleicht auch, dass Wong-fun seine nationale Tracht aus dem Grunde beibehielt, um desto erfolgreicher zu Gunsten europäischer Gesittung unter seinen Landsleuten wirken zu können. 

Kleine Tanka-Boote, in welchen, wie wir bereits erwähnten, nur zwei Personen bequem Platz haben, und die ausschließlich von weiblichen Schiffern geführt werden, brachten die Reisegesellschaft über die innere Hafenbucht nach dem jenseitigen Ufer. Von hier gings nach einem lieblichen, mit Reisfeldern bedeckten Tale, durch welches ein frischer Gebirgsbach seinen Lauf nimmt. Derselbe ist abgedämmt und treibt mehrere chinesische Mühlen mit kleinen Schwellteichen zur Seite. Im Hintergrunde des Tales befand sich die mysteriöse Stelle. Das angebliche Wunder löste sich aber bald in ein großartiges Felsmeer von Syenitblöcken auf, ganz ähnlich dem bekannten Felsmeer im hessischen Odenwalde. Einige dieser Syenitblöcke liegen hohl über anderen und da klingt das feste syenitische Gestein, wenn man es mit dem Hammer anschlägt, gerade wie eine jede hohl liegende Basalt- oder Marmorplatte beim Anschlag klingen würde. Sonst bot dieses Blockwerk, aus dem die Chinesen Tiger- und Löwenfiguren meißeln, um die Eingänge ihrer Tempel damit zu zieren, nur wenig Interesse.

Karl Ritter von Scherzer

Wissenschaftliche Kommission auf der Novara