Shanghai: Sicherheit und Rechtsschutz
Nautilus: 28. Mai bis 11. Juni 1885

Sikh-Polizist Jerolim von Benko, 1892

Die öffentliche Sicherheit lässt gegenwärtig in der Fremdenstadt Shanghai nichts zu wünschen übrig; das Wirken des kleinen Polizeicorps — 50 Europäer, 50 Indier, 195 Eingeborene für den englisch-amerikanischen, 27 Fremde und 29 Eingeborene für den französischen Teil der Fremdenstadt — ist allen Lobes und geradezu der Bewunderung wert, wenn man in Bücksicht zieht, dass diese kleine Macht so zahlreiche Chinesen zu überwachen hat, die in allen jenen Fällen, in welchen keine Fremden mitbeschädigt sind, nur vor ihren nationalen Beamten zur Verurteilung angeklagt werden dürfen, wo dann „bribribery, doubtless working its effects in Shanghai as elsewhere in China“, ein nachhaltiges Einwirken der Polizeiorgane ganz besonders erschweren muss.

Einen wirksamen Rechtsschutz finden die Fremden durch die, Shanghai eigentümliche Institution der gemischten Gerichtshöfe, von welchen zwei bestehen, der eine für die englisch-amerikanische, der zweite für die französische Kommune. In diesen Gerichtshöfen kommen alle strafrechtlichen und zivil-rechtlichen Angelegenheiten zur Verhandlung und Entscheidung, bei welchen Interessen von Europäern tangiert erscheinen; chinesische und europäische Funktionäre bilden hier gemeinsame Richterkollegien. Das Wirken dieser „mixed courts“ hat zwar anfänglich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, da die chinesische Moral von einer Pflicht der Wahrhaftigkeit nichts weiß, eine feierliche und verantwortliche Bekräftigung der Aussage, wie sie der christliche Eid bietet, eine unbekannte Sache, und die Herstellung von glaubwürdigen Beweisen daher fast unmöglich war; aber nach und nach lernte man mit den Chinesen auch in judizieller Beziehung umgehen, scheute vor den strengsten Strafen für falsche Zeugenaussagen oder vor Gericht gemachte unwahre Angaben nicht zurück, und gegenwärtig dankt Shanghai der Tätigkeit der gemischten Gerichtshöfe zu nicht geringem Teil seine allseitig geordneten Zustände.

Außer den mixed courts und den Consulargerichten besteht, in Shanghai seit dem Jahre 1865 noch ein englisches Obergericht, eine Supreme Court, welche die oberste Berufungsinstanz für alle englischen Konsulargerichte in China und Japan bildet.

Unter dem Wirken eines stets mehr Vertrauen erweckenden Rechtsschutzes hat sich Shanghai zu einem mächtigen Handelsemporium emporgeschwungen, dessen kommerzielle Bedeutung dadurch nicht verliert, dass hier, wie anderwärts, die Konkurrenz eine stets größere, der Gewinn des Einzelnen immer kleiner wird, und dass mehr und mehr eingeborene Kaufleute ihr Trachten dahin richten, ihre Transaktionen von den in Shanghai etablierten fremden Handelshäusern unabhängig zu gestalten.