Jerolim von Benko, 1892
Ihrer Verfassung nach bildet die Fremdenstadt von Shanghai zwei Gemeinwesen;
das englisch-amerikanische, im Norden des Kiangkingpang, und das französische,
zwischen der Chinesenstadt und dem englisch-amerikanischen Teile der
Fremdenstadt. Die Vereinigung der englischen Konzession mit der benachbarten
amerikanischen (Honkew), hat sich im Jahre 1863 vollzogen. Aus dem
ursprünglich, noch vom ersten englischen Konsul, Kapitän Balfour,
eingesetzten, aus drei Kaufleuten bestehenden „Komitee für Straßen- und
Uferbauten“ hat sich der jetzige, gänzlich autonome Munizipalrat
herausgebildet, welcher als „Council for the Foreign Community of Shanghai
North of the Yang-king-pang“ bezeichnet wird. Diese Körperschaft wird
alljährlich im Januar gewählt; Wähler sind jene, welche entweder Grund im
Werte von mindestens 500 Taels besitzen, oder eine, einem solchen Besitze
entsprechende Miete bezahlen. Der Munizipalrat besteht aus neun Mitgliedern, den
verschiedenen Nationalitäten angehörend, welche aus ihrer Mitte den
Präsidenten und dessen Stellvertreter wählen.
Das „Reglement l’Organisation Municipale de la
Konzession Francaise“, nach dessen Bestimmungen die französische Konzession
verwaltet wird, stammt aus dem Jahre 1862 und wurde im Jahre 1868 revidiert.
Nach diesem Reglement besteht der Munizipalrat hier aus acht Mitgliedern, von
welchen vier Franzosen sein müssen; der französische Konsul ist Obmann des
Rates, und jährlich scheidet die Hälfte der auf zwei Jahre gewählten
Mitglieder aus. Der Zensus für die Wahlen in den Munizipalrat ist hier ein
niedrigerer, als in der englisch-amerikanischen Kommunität; der dortigen Summe
von 500 Taels ist hier jene von 1000 Francs. substituiert. Dieser liberaleren
Bestimmung rücksichtlich der Wahlfähigkeit entspricht aber der sonstige Geist
der Verwaltungsmaximen, im Vergleiche zu jenem, welcher die Verwaltung der
Nachbarkonzessionen beherrscht, keineswegs; in der französischen Konzession
regiert dem Wesen nach der vom Staate bestellte Konsul, welchem sogar das Recht
zustehen soll, die zu wählenden Munizipalräte zu bezeichnen, während
nördlich vom Yangkingpang das ausgesprochenste Selfgovernment vorherrscht.
Réclus nennt die englisch-amerikanische Colonie „la
colonie modele, la republique du Hoang-Pou“, und bemerkt, dass auch zahlreiche
Franzosen sich in dieser Konzession ansiedeln, nicht nur, um der lästigen Nähe
der chinesischen Stadt zu entgehen, sondern hauptsächlich „pour echapper au
pouvoir discretionnaire de leur consul, armé de droits prèsque dictatoriaux“.
Der berühmte französische Geograph beruft sich zur Unterstützung dieses
scharfen Ausspruches u. a. auf die strenge Beurteilung, welche George Bousquet
über die Verwaltungsweise der französischen Fremdenkolonie fällt, wobei, nach
Vergleich der Einrichtungen der beiden nachbarlichen Gemeinwesen, Bousquet
Folgendes sagt: „On voit, qu'au lieu d'une republique cosmopolite, etablie sur
un terrain neutre, la France en ces parages couvre de son pavillon consulaire
une veritable autocratie, etablie sur un terrain qu'elle traite comme terre
francaise“. Georges Bousquet erwähnt, dass die Beschlüsse des französischen
Munizipalrates der Zustimmung des Konsuls bedürfen, und dass der Fall der
Suspendierung des Munizipalrates durch den Konsul vorgekommen sei (Revue des
Deux Mondes 1878).
Um aber bei diesem Vergleiche in gerechter Weise
vorzugehen, darf man wohl nicht allein die eben hier, in Shanghais Fremdenstadt,
zu Tage tretenden Erscheinungen in Vergleich bringen, sondern man muss auch nach
den Ursachen dieser Verschiedenheiten forschen, welche in dem Wesen der beiden
Nationen begründet sind, um die es sich handelt. Diese Verschiedenheit des Wesens führt uns Graf
A. Hübner in meisterhafter Weise durch folgende Worte vor Augen:
«La
différence entre le génie du peuple français et les fils de la vielle
Angleterre, si frappante dans l’extrême Orient et partout ou les deux
drapeaux flottent á coté l’un de l’autre, cette différence s'impose ici
pareillement á l'observation du voyageur. La factorie anglaise est née de l’initiative
des particuliers, aidé de l'appui moral et, exceptionnellement et
temporairement, des forces militaires et navales du gouvernement. Les
établissements français sont l’oeuvre du gouvernement, accomplie avec ou
sans le concours des nationaux. Les agents officiels de la France marchent á la
tete des colons, les fonctionnaires britanniques en forment l'arrière-garde et
la réserve. Les premiers inspirent et dirigent leurs nationaux; les seconds
protégent et très-souvent doivent contenir leurs compatriotes. Les agents
officiels des deux pays sont l'objet constant des critiques rarement
bienveillantes de leurs nationaux; les Anglais se plaignent d'être trop, les
Français trop peu gouvernés; les Anglais disent: notre consul se mêle de
tout; les Français: notre consul ne se soucie de rien. La vérité est que la
tache des autorités britanniques est moins de diriger que de contrôler, tandis
que les consuls français sont obliges de gouverneur et parfois de regner: —
Retirez l'action de ces fonctionnaires, amenez le pavillon français, rappelez
le stationnaire du fort, et il est á parier dix contre un que dans quelques
années l'établissement aura disparu. Dans une factorie anglaise, les choses se
passeraient tout autrement. Apres le départ des représentants officiels et des
troupes de la reine, les résidents pourvoiraient eux-mêmes au maintien de l’ordre,
et, s'il le fallait, á la défense contre un ennemi extérieur. Il y aurait
peut être de mauvais moments á traverser, mais il est presque sur, que les
éléments respectables finiraient par prévaloir et par fonder un état de
choses, sinon bon, du-moins tolérable. Les Français, je le répète,
partiraient á la suite des autorités civiles et militaires , et le peu qui en
resterait s'amalgamerait avec les indigenes. Cela s'est vu et a été souvent
dit, et, si je l'inscris sur ces pages, c'est qu'il est bon de se le rappeler
afin de comprendre Shanghai. — Loin de moi la pensée de denigrer le peuple
français. Ou peut-être une grande nation et n'avoir pas la vocation de
coloniser.»
In den letzten Jahren ist übrigens die Idee aufgetaucht
und hat vielfachen Anklang gefunden, die französische Konzession zu Shanghai
mit den beiden anderen, schon vereinigten, zu einem einzigen Gemeinwesen zu
verschmelzen. Der von uns
öfters zitierte und vielfach benützte “Chronicle and Directory” für 1887
sagt hierüber: “Several efforts have been made to amalgamate the French with
the other settlements, but hitherto without success; a revision of the
reglements for the French Konzession is now under consideration”. Von
einer neueren Wendung in dieser Angelegenheit, im Sinne der Vereinigung,
geschieht, wenigstens in den englischen Consularberichten, die uns bis
einschließlich, des Jahres 1888 vorliegen, keine Erwähnung.
Die Munizipalverwaltung des englisch-amerikanischen
Settlements beruft die zu den öffentlichen Lasten beitragenden Einwohner im
Februar jeden Jahres zu einer Versammlung ein, welche das Budget votiert; keine
Maßregel von irgend welcher Bedeutung wird von der. Munizipalverwaltung ins
Werk gesetzt, ohne dass zuerst durch eine ähnliche, speziell einberufene
Versammlung die betreffende Angelegenheit besprochen, Beschlüsse gefasst, und
eventuell die Kosten votiert worden wären.
Das Budget der Kommune beträgt gegenwärtig jährlich
gegen 350.000 Taels. Unter den Einnahmen finden wir Grundsteuern,
Gebäudesteuern (8% für europäische, 10% für chinesische Häuser),
Hafengebühren, Lizenzgebühren für Opiumverschleiß als Hauptposten; unter den
Ausgaben nimmt das Departement der öffentlichen Sicherheit mit circa 80.000
Taels den größten Posten ein. Dem Sanitätsdepartement mit circa 30.000, den
öffentlichen Arbeiten, einschließlich Erhaltung der öffentlichen Gärten,
Bestattungsplätze und Straßen mit 60.000, und den direkten Verwaltungskosten
mit circa 32.000 Taels kommen die nächsten Stellen zu; für Beleuchtung, u. zw.
wie Fregattenkapitän v. Spetzler berichtet, elektrische Beleuchtung der
Straßen und Plätze, sind 25.000, für Wasserversorgung 8000 Taels ausgeworfen.
— Die Einnahmen und Ausgaben der französischen Konzession erreichen etwa den
dritten Teil von jenen der vereinigten englisch-amerikanischen, in der Summe von
circa 110.000 Taels. Aus der Vergleichung der einzelnen Posten in den beiden
Budgets scheint hervorzugehen, dass bei den Franzosen die direkten Umlagen,
speziell die Gebäudesteuern, niedriger, dagegen die indirekten Umlagen für
Lizenzen u. s. w. höher sind, als in der Kommune nördlich vom Yankingpang. Die
Polizeiausgaben betragen in der französischen Kolonie 29.000 Taels.