Shanghai: Verfassung
Nautilus: 28. Mai bis 11. Juni 1885

Russische Bank am Bund Jerolim von Benko, 1892

Ihrer Verfassung nach bildet die Fremdenstadt von Shanghai zwei Gemeinwesen; das englisch-amerikanische, im Norden des Kiangkingpang, und das französische, zwischen der Chinesenstadt und dem englisch-amerikanischen Teile der Fremdenstadt. Die Vereinigung der englischen Konzession mit der benachbarten amerikanischen (Honkew), hat sich im Jahre 1863 vollzogen. Aus dem ursprünglich, noch vom ersten englischen Konsul, Kapitän Balfour, eingesetzten, aus drei Kaufleuten bestehenden „Komitee für Straßen- und Uferbauten“ hat sich der jetzige, gänzlich autonome Munizipalrat herausgebildet, welcher als „Council for the Foreign Community of Shanghai North of the Yang-king-pang“ bezeichnet wird. Diese Körperschaft wird alljährlich im Januar gewählt; Wähler sind jene, welche entweder Grund im Werte von mindestens 500 Taels besitzen, oder eine, einem solchen Besitze entsprechende Miete bezahlen. Der Munizipalrat besteht aus neun Mitgliedern, den verschiedenen Nationalitäten angehörend, welche aus ihrer Mitte den Präsidenten und dessen Stellvertreter wählen.

Das „Reglement l’Organisation Municipale de la Konzession Francaise“, nach dessen Bestimmungen die französische Konzession verwaltet wird, stammt aus dem Jahre 1862 und wurde im Jahre 1868 revidiert. Nach diesem Reglement besteht der Munizipalrat hier aus acht Mitgliedern, von welchen vier Franzosen sein müssen; der französische Konsul ist Obmann des Rates, und jährlich scheidet die Hälfte der auf zwei Jahre gewählten Mitglieder aus. Der Zensus für die Wahlen in den Munizipalrat ist hier ein niedrigerer, als in der englisch-amerikanischen Kommunität; der dortigen Summe von 500 Taels ist hier jene von 1000 Francs. substituiert. Dieser liberaleren Bestimmung rücksichtlich der Wahlfähigkeit entspricht aber der sonstige Geist der Verwaltungsmaximen, im Vergleiche zu jenem, welcher die Verwaltung der Nachbarkonzessionen beherrscht, keineswegs; in der französischen Konzession regiert dem Wesen nach der vom Staate bestellte Konsul, welchem sogar das Recht zustehen soll, die zu wählenden Munizipalräte zu bezeichnen, während nördlich vom Yangkingpang das ausgesprochenste Selfgovernment vorherrscht.

Réclus nennt die englisch-amerikanische Colonie „la colonie modele, la republique du Hoang-Pou“, und bemerkt, dass auch zahlreiche Franzosen sich in dieser Konzession ansiedeln, nicht nur, um der lästigen Nähe der chinesischen Stadt zu entgehen, sondern hauptsächlich „pour echapper au pouvoir discretionnaire de leur consul, armé de droits prèsque dictatoriaux“. Der berühmte französische Geograph beruft sich zur Unterstützung dieses scharfen Ausspruches u. a. auf die strenge Beurteilung, welche George Bousquet über die Verwaltungsweise der französischen Fremdenkolonie fällt, wobei, nach Vergleich der Einrichtungen der beiden nachbarlichen Gemeinwesen, Bousquet Folgendes sagt: „On voit, qu'au lieu d'une republique cosmopolite, etablie sur un terrain neutre, la France en ces parages couvre de son pavillon consulaire une veritable autocratie, etablie sur un terrain qu'elle traite comme terre francaise“. Georges Bousquet erwähnt, dass die Beschlüsse des französischen Munizipalrates der Zustimmung des Konsuls bedürfen, und dass der Fall der Suspendierung des Munizipalrates durch den Konsul vorgekommen sei (Revue des Deux Mondes 1878).

Um aber bei diesem Vergleiche in gerechter Weise vorzugehen, darf man wohl nicht allein die eben hier, in Shanghais Fremdenstadt, zu Tage tretenden Erscheinungen in Vergleich bringen, sondern man muss auch nach den Ursachen dieser Verschiedenheiten forschen, welche in dem Wesen der beiden Nationen begründet sind, um die es sich handelt. Diese Verschiedenheit des Wesens führt uns Graf A. Hübner in meisterhafter Weise durch folgende Worte vor Augen:

«La différence entre le génie du peuple français et les fils de la vielle Angleterre, si frappante dans l’extrême Orient et partout ou les deux drapeaux flottent á coté l’un de l’autre, cette différence s'impose ici pareillement á l'observation du voyageur. La factorie anglaise est née de l’initiative des particuliers, aidé de l'appui moral et, exceptionnellement et temporairement, des forces militaires et navales du gouvernement. Les établissements français sont l’oeuvre du gouvernement, accomplie avec ou sans le concours des nationaux. Les agents officiels de la France marchent á la tete des colons, les fonctionnaires britanniques en forment l'arrière-garde et la réserve. Les premiers inspirent et dirigent leurs nationaux; les seconds protégent et très-souvent doivent contenir leurs compatriotes. Les agents officiels des deux pays sont l'objet constant des critiques rarement bienveillantes de leurs nationaux; les Anglais se plaignent d'être trop, les Français trop peu gouvernés; les Anglais disent: notre consul se mêle de tout; les Français: notre consul ne se soucie de rien. La vérité est que la tache des autorités britanniques est moins de diriger que de contrôler, tandis que les consuls français sont obliges de gouverneur et parfois de regner: — Retirez l'action de ces fonctionnaires, amenez le pavillon français, rappelez le stationnaire du fort, et il est á parier dix contre un que dans quelques années l'établissement aura disparu. Dans une factorie anglaise, les choses se passeraient tout autrement. Apres le départ des représentants officiels et des troupes de la reine, les résidents pourvoiraient eux-mêmes au maintien de l’ordre, et, s'il le fallait, á la défense contre un ennemi extérieur. Il y aurait peut être de mauvais moments á traverser, mais il est presque sur, que les éléments respectables finiraient par prévaloir et par fonder un état de choses, sinon bon, du-moins tolérable. Les Français, je le répète, partiraient á la suite des autorités civiles et militaires , et le peu qui en resterait s'amalgamerait avec les indigenes. Cela s'est vu et a été souvent dit, et, si je l'inscris sur ces pages, c'est qu'il est bon de se le rappeler afin de comprendre Shanghai. — Loin de moi la pensée de denigrer le peuple français. Ou peut-être une grande nation et n'avoir pas la vocation de coloniser.»

In den letzten Jahren ist übrigens die Idee aufgetaucht und hat vielfachen Anklang gefunden, die französische Konzession zu Shanghai mit den beiden anderen, schon vereinigten, zu einem einzigen Gemeinwesen zu verschmelzen. Der von uns öfters zitierte und vielfach benützte “Chronicle and Directory” für 1887 sagt hierüber: “Several efforts have been made to amalgamate the French with the other settlements, but hitherto without success; a revision of the reglements for the French Konzession is now under consideration”. Von einer neueren Wendung in dieser Angelegenheit, im Sinne der Vereinigung, geschieht, wenigstens in den englischen Consularberichten, die uns bis einschließlich, des Jahres 1888 vorliegen, keine Erwähnung.

Die Munizipalverwaltung des englisch-amerikanischen Settlements beruft die zu den öffentlichen Lasten beitragenden Einwohner im Februar jeden Jahres zu einer Versammlung ein, welche das Budget votiert; keine Maßregel von irgend welcher Bedeutung wird von der. Munizipalverwaltung ins Werk gesetzt, ohne dass zuerst durch eine ähnliche, speziell einberufene Versammlung die betreffende Angelegenheit besprochen, Beschlüsse gefasst, und eventuell die Kosten votiert worden wären.

Das Budget der Kommune beträgt gegenwärtig jährlich gegen 350.000 Taels. Unter den Einnahmen finden wir Grundsteuern, Gebäudesteuern (8% für europäische, 10% für chinesische Häuser), Hafengebühren, Lizenzgebühren für Opiumverschleiß als Hauptposten; unter den Ausgaben nimmt das Departement der öffentlichen Sicherheit mit circa 80.000 Taels den größten Posten ein. Dem Sanitätsdepartement mit circa 30.000, den öffentlichen Arbeiten, einschließlich Erhaltung der öffentlichen Gärten, Bestattungsplätze und Straßen mit 60.000, und den direkten Verwaltungskosten mit circa 32.000 Taels kommen die nächsten Stellen zu; für Beleuchtung, u. zw. wie Fregattenkapitän v. Spetzler berichtet, elektrische Beleuchtung der Straßen und Plätze, sind 25.000, für Wasserversorgung 8000 Taels ausgeworfen. — Die Einnahmen und Ausgaben der französischen Konzession erreichen etwa den dritten Teil von jenen der vereinigten englisch-amerikanischen, in der Summe von circa 110.000 Taels. Aus der Vergleichung der einzelnen Posten in den beiden Budgets scheint hervorzugehen, dass bei den Franzosen die direkten Umlagen, speziell die Gebäudesteuern, niedriger, dagegen die indirekten Umlagen für Lizenzen u. s. w. höher sind, als in der Kommune nördlich vom Yankingpang. Die Polizeiausgaben betragen in der französischen Kolonie 29.000 Taels.