Der Hafen hinter den Bergen

Tschifu 1928Reinhold von Werner, 1861

Nach dreitägigem Aufenthalte in Ninghae gingen wir nach Chefu und empfanden dort die größere Kühle des Sommers äußerst angenehm. Der Temperaturunterschied beträgt zwischen hier und Tientsin über 6° Reaumur, obwohl Chefu nur ein wenig südlicher, dafür aber um 50 Meilen östlicher als Tientsin gelegen ist. Vom September ab kühlt sich die Luft bedeutend, und die täglichen frischen Nordwinde wurden allmählich rauer. Diese Veränderung gestattete uns, einige Zerstreuungen aufzusuchen, welche die bisherige große Hitze verboten hatte, und deren Mangel während eines viermonatigen Aufenthalts an einem in jeder Beziehung so uninteressanten Punkt wie Chefu sich um so fühlbarer machte. Die hiesige Gegen ist reich an Wild, namentlich Fasanen, Hasen und Wasservögeln. Während des Winters sollen sich auch oft Wölfe und Bären in dem benachbarten Gebirge zeigen, jedoch hofften wir nicht, so lange dort zu bleiben, um sie jagen zu können. Die Jagden auf Geflügel und Hasen wurden indessen täglich und mit großem Eifer betrieben, und einmal veranstalteten wir eine große Partie, die nicht weniger als vier Tage dauerte.

Chefu liegt in einem Tale an der Basis einer kreisförmigen Bucht, die ringsum von einer sich zu 1500 Fuß erhebenden Bergkette eingeschlossen wird. Diese Kette muss überschritten werden, um auf die ergiebigen Jagdgründe zu kommen, die eine viele Meilen weite Ebene bilden. Der Marsch über die Berge, über die keine regelmäßigen Pfade führen, ist sehr anstrengend; allein man wird dafür vollständig durch die prachtvolle Aussicht entschädigt, die sich dem Auge von der Spitze des Gebirgskammes bietet. Ein unabsehbarer Garten breitet sich vor dem Beschauer aus, und ich habe nie etwas Ähnliches in meinem Leben gesehen. Alle möglichen Arten von Korn, Hirse, Gemüse, Hanf u.s.w. werden hier mit einer Sorgfalt gebaut, von der man sich bei uns keinen Begriff macht, und wie ich es weder im Süden Chinas noch in Japan vorher gesehen. Jede Feldparzelle ist ein Beet, von einer Blumenhecke umschlossen und von den verschiedensten Obstbäumen beschattet, die jetzt alle im Schmuck ihrer Früchte prangen. Sämtliche Felder sind mit Furchen und Rinnen durchzogen, und an ihren Endpunkten erheben sich auf kleinen Terrassen Tausende von Brunnen, um das befruchtende Nass durch jene Furchen den Wurzeln der Pflanzen zuzuführen. Diese Brunnen sind regelmäßig von einer Laube überdacht, an der sich Kürbisranken empor winden, deren mächtige, oft 30 bis 40 Pfund schwere Früchte das dünne Bambusgestell der Laube zu zerdrücken drohen. Hier und dort wird das Grün der Äcker durch die Grabhügel und weißen Denksteine eines Friedhofes unterbrochen, oder durch das Laub einer dichten Obstpflanzung schimmern die Häuser von Dörfern, die in China fast nie ohne diese Zierde angetroffen werden.

Auf den Feldern selbst herrscht reges Leben. Hier wird geheimst, und wenn man die heimischen Erntewagen vermisst, bewegen sich dagegen lange Reihen von Maultieren, mit hoch aufgetürmten Bürden der verschiedenen Fruchtarten auf ihren Rücken, den einzelnen Dörfern und Gehöften zu. Dort sind einige halbnackte Gestalten, deren Haut die Sommersonne fast dunkelbraun gefärbt, beschäftigt, um unter unmelodischem eintönigen Gesänge Wasser aus den Bewässerungsbrunnen zu schöpfen. Dort wird, nicht wie bei uns mit Pflug und Spaten, aber gewiss mit einer ebenso praktischen und leichter zu handhabenden Tiefhacke der Boden aufgebrochen und für die neue Saat vorbereitet, während unbeholfene Frauen mit verkrüppelten Füßen wie auf Stelzen durch die Felder schreiten und mit Hilfe der Kinder Unkraut ausjäten. Verschämt und ängstlich wenden sie das Gesicht fort, wenn ein Europäer in ihrer Nähe erscheint, als ob ihre Hässlichkeit nicht schon ein natürlicher Schutz für sie wäre. Doch die Männer sind zutraulicher, und wenngleich sie mit stupidem Staunen die »Fang-Kwei« angaffen, erschallte uns doch regelmäßig ein gutmütiger Gruß entgegen, und überall kam man uns freundlich entgegen. Das schönste Wetter begünstigte uns. Unsere nächtlichen Biwaks hielten wir in Tempeln und Klöstern, und wir kehrten, obwohl mit wunden Füßen und schmerzenden Gliedern, so doch mit reicher Beute und angenehmen Erinnerungen an Bord zurück.

Chefu selbst habe ich schon in kurzen Worten geschildert. Es ist trotz seiner 10.000 Einwohner nur sozusagen eine ambulante Stadt, ein großes Absteigequartier für die Kaufleute aus dem Innern. Sie kommen nur hierher, um zu handeln, ihr Aufenthalt ist vorübergehend und das Gros der Bevölkerung daher stets wechselnd. So kommt es, dass sich in der ganzen Stadt nicht eine einzige verheiratete chinesische Frau befindet und dass überhaupt nur einige hundert Frauenzimmer der niedrigsten und hässlichsten Art in der Stadt leben. Von Europäern wohnten hier nur der englische und der französische Konsul mit einem Assistenten, ein Schweizer Kaufmann und fünf verheiratete amerikanische Missionare, die jedoch augenblicklich Kaufleute geworden waren. Infolge der amerikanischen Wirren scheinen ihre Gehälter nicht regelmäßig geflossen zu sein -- beiläufig 1.800 Taler pro Kopf und 303 Taler Extraordinarium für jedes Kind, welches dem Missionar geboren wird. Die Herren haben deshalb das Missionshaus in Schanghai zu einem anständigen Preis verkauft und mit dem Kapital auf gemeinschaftliche Rechnung einen Handel in Chefu begonnen, der bedeutend rentierte.