Über den Tod des Kaisers Xianfeng

Reinhold von Werner, 1861

In den letzten Monaten unseres Aufenthalts im Norden von China trugen sich bedeutende politische Veränderungen im Reiche der Mitte zu. Die wichtigste derselben war der Tod des Kaisers, der am 17. August 1861 erfolgte. Anfänglich glaubte man, der Kaiser sei entweder von seinem Verwandten, dem Regenten, oder von der altchinesischen Partei aus dem Wege geschafft. Die letztere Annahme gewann durch den Umstand an Wahrscheinlichkeit, dass nicht Prinz Kung Regent blieb, sondern für den unmündigen kaiserlichen Sohn ein aus drei den Europäern feindlich gesinnten Mandarinen gebildeter Vormundschaftsrat eingesetzt wurde. Sichere Nachrichten haben jedoch allen romantischen Nimbus vom Sterbebette des Kaisers schwinden lassen.

Hienfung, der Sohn der Sonne, obwohl noch im besten Mannesalter, ist an nichts anderem als am Delirium tremens gestorben. Er war ein arger Trinker und hatte es nur seinen liebenden Gattinnen zu danken, dass er nicht schon längst in das Grab steigen musste. Bereits vor zwei Jahren hatte er einen Anfall von Delirium, und es soll damals seinen Frauen gelungen sein, ihn zu bewegen, seinen täglichen Bedarf an Spirituosen bis auf 60 Schälchen Samtschu einzuschränken.

Der Samtschu hat die Stärke von unversetztem Arak, und zwei der erwähnten Porzellanschälchen, aus denen er in China getrunken wird, machen etwa eins unserer Schnapsgläser aus. Hienfung konnte demnach immer noch zu den Trinkern erster Klasse gerechnet werden, und da er seine übrige Zeit nur zwischen Opiumrauchen und der Gesellschaft seiner Frauen teilte, so ist sein frühzeitiger Tod sehr erklärlich.

Dieser Tod machte auf die Chinesen wenig Eindruck, und man vermisste ganz und gar die Landestrauer, die bei ähnlichen Fällen sonst auf das strengste beobachtet wurde. Politisch tot war der Kaiser ohnehin seit seiner Flucht im vorhergehenden Jahre, und es ist nie daran gedacht worden, dass er je wieder nach Peking und auf den »Sitz des Drachen« zurückkehren könnte, nachdem die Barbaren den Palast geplündert und ihre Gesandten sich in Peking einquartiert hatten. Nominell herrschte er, und zum Scheine wurden ihm auch alle wichtigen Aktenstücke nach Jehol in der Tatarei geschickt, wo er residierte, allein der wirkliche Regent war Prinz Kung, sein jüngerer Bruder.

Prinz Kung ist ein Mann von 28 Jahren und in moralischer Beziehung das gerade Gegenteil seines Bruders, d.h. ein durchaus mäßiger und energischer Mann. Während der verstorbene Kaiser sich von seinen Ministern so lange belügen ließ, bis die Alliierten vor Peking standen und die Hof- und Staatszeitung im Namen des Herrschers dem Volke eine Niederlage der Barbaren nach der andern verkündete, bis der Palast erstürmt und geplündert wurde, hat Prinz Kung die für einen chinesischen Herrscher außerordentlich gute Seite, mit eigenen Augen zu sehen und danach seine Maßnahmen zu treffen. Sodann ist er auch politisch und vernünftig genug, um einzusehen, dass China durch die Eröffnung des Landes für die Fremden und durch die Heilighaltung der Verträge nur gewinnen kann, sowie dass seine Dynastie nur zu retten ist, wenn sie sich die Fremden verpflichtet und sich dadurch den Schutz gegen die immer weiter schreitenden Rebellen sichert. Der Prinz hatte deshalb während seiner einjährigen Regentschaft den Alliierten nicht nur aufrichtige Beweise seiner freundschaftlichen Gesinnungen gegeben, sondern auch durch große Erleichterungen des Verkehrs sich ganz und gar die Sympathie der Fremden erworben.

Nach dem Tode des Kaisers reiste er nach Jehol, um der Begräbnisfeierlichkeit beizuwohnen, fand aber dort bereits den erwähnten Regentschaftsrat vor und sah sich von der Regentschaft entbunden, wenn auch nur auf kurze Zeit. Er scheint auf die Umgebung des jungen Monarchen und auf diesen selbst einen solchen Einfluss geübt zu haben, dass er, vielleicht auch im Einverständnis mit den Alliierten oder deren Mitwirkung gewiss, einen Staatsstreich wagen durfte.

Am 21. Oktober 1861 hielt er an der Seite des jungen Kaisers seinen Einzug in Peking, zugleich wurde aber auch der Regentschaftsrat plötzlich auf seinen Befehl verhaftet und seinen Mitgliedern der Prozess gemacht. Man beschuldigte dieselben des Hochverrats und verurteilte sie nach echt chinesischer Weise zum Vierteilen. Zwei der Mandarine begnadigte man jedoch zum Tode durch das Beil, während der dritte entfloh, aber von den Anhängern des Prinzen ergriffen und niedergemacht wurde. Prinz Kung übernahm nun aufs neue in Gemeinschaft mit der Kaiserin-Mutter die Regentschaft.

Man kann somit einer zu Reformen geneigten, den Europäern freundlich gesinnten und energischen Regierung entgegensehen, und vielleicht ist China noch vor der vollständigen Anarchie und die Mandschu-Dynastie vor ihrem Sturze zu retten. Die natürliche Folge wird sein, dass sich entweder in nächster Zeit die Westmächte mit den Kaiserlichen gegen die Rebellen verbinden, oder dass ein Kompromiss mit diesen eingegangen wird. Das letztere ist das Wahrscheinlichste, da ein abermaliger chinesischer Krieg wenigstens in England sehr unpopulär sein würde, wenn auch Kaiser Napoleon damit gedient wäre.

Die Meinung der Europäer, die noch vor kurzem den Rebellen ziemlich günstig lautete, begann in letzter Zeit sich auf die Seite der Kaiserlichen zu neigen, und dies ist sehr erklärlich, da sie lediglich von Handelsinteressen geleitet wird. Die Erwartungen, welche man an die Eröffnung des Jang-tse-kiang und der nordischen Häfen knüpfte, sind nicht in dem Maße erfüllt worden, wie man voraussetzen durfte. Hieran ist lediglich der Bürgerkrieg schuld, und wie sehr es auch den vorgeblichen zivilisatorischen Bestrebungen der Engländer genehm gewesen sein mag, die »christlichen« Taipings zu protegieren, so gründeten sich ihre Sympathien in Wahrheit doch nur auf die Voraussetzung, dass die Rebellen den Handelsinteressen der Fremden Vorschub leisten würden. Diese Hoffnung ist bis jetzt nicht erfüllt. Die Produzenten des Landes, die Seide- und Teezüchter, sind die ansässigen kaiserlichen Untertanen, aber sie produzieren nur und der Handel kann nur blühen, wenn Ruhe im Lande ist. Die erobernden, bald vorwärtsdrängenden, bald zurückweichenden Rebellen sind nur ein zerstörendes Element, und der Schrecken vor ihnen ist bei dem kaiserlichen Landvolk so groß, dass seine Wirkung sich auf Hunderte von Meilen erstreckt und sowohl den Handel wie die Produktion lahmt.

In Chefu traf z.B. während unserer Anwesenheit die Nachricht ein, dass die Rebellen Fung-tscha-fau, eine 100 Meilen weit entfernte Stadt, erobert hatten. Seit jenem Augenblick waren die Einwohner von einem panischen Schrecken ergriffen, der sofort einen Rückschlag auf die Geschäfts übte und diese fast zum Stillstand brachte.

So geht es auch im Südwesten in den Tee- und Seidedistrikten. Die Rebellen sind vielfach im Besitz der aus dem Innern seewärts führenden Handelsstraßen und fangen die Warentransporte ab, so dass die Zufuhr jener Artikel immer spärlicher wird. Es wurden daher seit einiger Zeit in den englischen Blättern immer mehr Stimmen laut, die auf die Unerträglichkeit eines solchen Zustandes hinwiesen, in energischer Weise auf Abhilfe drangen, und da die chinesische Politik der Engländer allein durch ihre Handelsinteressen bedingt wird, so dürfen wir bald einer Entscheidung entgegensehen, die außerdem für ganz China ein unendlicher Segen sein würde.