Angriff der Shandong-Rebellen

Rückeroberung von Tongcheng von den TaipingReinhold von Werner, 1861

Während der letzten acht Tage unseres Aufenthalts in Chefu hatten wir Gelegenheit, ein Stück des chinesischen Bürgerkriegs mit allen seinen Gräueln und Schrecken aus nächster Nähe anzusehen. Die unter dem Namen Schantung-Rebellen den Norden verwüstenden Banden rückten auf Chefu an. Diese sind jedoch nicht mit den Taipings im Süden zu verwechseln, mit denen sie politisch nichts gemein haben.

Ihr Ursprung stammt aus dem Jahre 1860. Im Mai dieses Jahres hatte ein sehr reicher chinesischer Kaufmann und Abkömmling der alten von den Mandschu vertriebenen Ming-Dynastie eine bedeutende von ihm zum Bau der Takuforts vorgestreckte Summe Goldes von der Regierung zurückerhalten, mit der er öfter in solcher Verbindung stand. Das Geld, zirka eine Million Dollar, kam in Regierungsverschluss und mit dem Siegel der Staatskasse versehen verzinst zurück, und der Kaufmann, der es wegen der Kriegsverhältnisse augenblicklich nicht verwerten konnte, deponierte es uneröffnet in seinen Kassengewölben. Nach zwei Monaten ersuchte ihn die Regierung abermals um ein Anlehen; er zeigte sich auch sofort bereit und gab von den noch mit dem Staatssiegel verschlossenen Paketen die betreffende Summe zurück.

Am andern Tage wird er plötzlich vor den Provinzialrichter gefordert, gefesselt und eingekerkert, um nach 24 Stunden enthauptet zu werden. Er war des Verbrechens der Falschmünzerei angeklagt; sämtliches von ihm gegebene Geld war falsch. Da den Mandarins der Betrug nicht gelang, suchten sie ihn durch ein noch größeres Verbrechen von sich ab und auf den unschuldigen Kaufmann zu wälzen. Die sehr angesehene und bedeutend verzweigte Familie des Gemordeten erhob sich jedoch, wie das in China bei so gewalttätigen Ungerechtigkeiten öfter geschieht, wie ein Mann; sie sammelte eine kleine Armee und verlangte, auf deren Macht gestützt, die Auslieferung der verbrecherischen Mandarine. Diese wurden jedoch von den höheren Behörden beschützt und entkamen. Die Mings, dadurch in die höchste Wut versetzt, wiegelten jetzt mit Hilfe ihres Geldes die ganze Bevölkerung ihres Distrikts auf, und so entstand unter dem schon längst gedrückten und gemißhandelten Volke die Schantung-Revolution, die bald so mächtig anwuchs, dass ihre Leiter die Herrschaft darüber verloren und die zusammengelaufenen Scharen jetzt überall auf Raub, Mord und Plünderung auszogen und binnen einem halben Jahr fast die Hälfte der Provinz Schantung, einen Landstrich so groß wie Preußen, total verwüsteten. Man versicherte dass die Zahl dieser Rebellen, die in drei Abteilungen umherzogen, sich auf 80.000 belaufe, und nach den neuesten Nachrichten sollte Tai-Ping-Wang insofern mit ihnen gemeinschaftliche Sache gemacht haben, dass er sie den Norden Chinas verwüsten ließ, während er den Süden heimsuchte.

Jetzt rückten diese verheerenden Truppen auf Chefu los. Seit acht Tagen verrieten die brennenden Dörfer, deren Feuerschein während der Nacht den westlichen Horizont erleuchtete, ihr Nahen; Tausende von Flüchtlingen, fast entblößt vom Notwendigsten, kamen in Chefu an und verkündeten die von den Rebellen begangenen Unmenschlichkeiten.

15.000 Mann stark zogen sie heran, meistens zu Pferde, von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, mordeten, raubten und verbrannten, was sie nicht mitzuschleppen vermochten. Alle männlichen Individuen, die in ihre Hände fielen, und alle Weiber, die nicht ihre tierischen Begierden erregten, fielen unter ihren Streichen, und jeder geplünderte Ort ging in Flammen auf.

Am 7. Oktober abends sahen wir die Dörfer brennen, die nur zwei Meilen westlich von Chefu liegen, und in letzterer Stadt war die Angst und Bestürzung aufs höchste gestiegen. Alles was fliehen konnte, floh; Tausende und aber Tausende schifften sich mit dem Wertvollsten ihrer Habe auf Dschunken ein, und nur einige Tausend der ärmsten Bewohner waren zurückgeblieben und hatten größtenteils innerhalb der französischen Befestigungen (Chefu ist als Garantie des letzten Vertrages und bis zur Bezahlung der Kriegskosten von den Franzosen besetzt) auf einer kleinen Halbinsel am Hafen Schutz gesucht. Die sonst gedrängt vollen Straßen der Stadt waren wie ausgestorben, alle Läden geschlossen und nichts zu kaufen. Es war ein trauriger Anblick, die armen Flüchtlinge zu sehen, wie sie von allen Seiten über die hohen Berge, welche Chefu umgaben, sich ermattet heranschleppten, wie dort ein Jüngling sein altes Mütterchen auf dem Rücken trug, oder hier ein blinder Greis von seiner Tochter geleitet wurde, die, wie die meisten Frauen mit ihren verkrüppelten Füßen, selbst nur mit der größten Beschwerde über das raue Gestein zu gehen vermochte.

Viele Hunderte wurden mitleidig von den europäischen Schiffen aufgenommen, auf die sich auch die Frauen und Kinder der am One befindlichen Europäer mit ihrer Habe flüchteten, während die Männer sich den Franzosen anschlossen, die alle militärischen Anstalten zur Verteidigung der Stadt getroffen hatten.

Leider war ihre Zahl sehr beschränkt. Von den beiden im Hafen liegenden Transportfregatten waren nur 250 Mann disponibel. Zufällig traf noch am 6. Oktober der französische Admiral Protet ein, um sich nach Tien-tsin zu begeben. Er übernahm das Kommando, sandte das Dampfschiff, welches ihn gebracht, sofort nach den Takuforts um Verstärkungen, und schon am 8. langten 150 Marinesoldaten und eine Bombarde an, während zugleich das Linientransportschiff Dryade von Schanghai ankam und ebenfalls 100 Mann ausschiffte, so dass die Franzosen jetzt 550 Mann stark waren, freilich immer nur eine Hand voll Menschen gegen 15.000 Banditen.

Der Admiral requirierte nun noch ein englisches Kanonenboot, das an der ändern Seite des Hafens zur Bewachung der dort errichteten englischen Depots lag. Chefu liegt, wie ich bereits berichtet, in einem Talkessel am Meer und wird in Süd, Ost und West von einem hohen Gebirgszug umschlossen. Man kann diese Berge zwar auf schmalen Fußpfaden an verschiedenen Stellen passieren, aber die große Handelsstraße, wo nur eine Armee marschieren kann, führt längs der Küste über das sich hier senkende und zu einem Plateau abflachende Gebirge. Nahe diesem Wege wurden das englische Dampfkanonenboot, die Bombarde und zwei mit Geschützen bewaffnete Barkassen der Fregatte postiert.

Am 8. Oktober mittags erschien die Avantgarde der Rebellen, circa 2 - 3.000 Mann stark, auf dem Plateau. Sie waren sämtlich beritten, alle trugen rote und blaue Schärpen und mindestens jeder dritte Mann eine rote Fahne. Wir lagen mit der »Elbe« (die » Arkona« war vor dem Peiho) etwa 3.000 Schritt von dieser Hochebene entfernt und konnten mit unsern Fernrohren alles genau betrachten. Es war ein höchst malerischer Anblick, diese Truppe mit ihren bunten Kostümen, mit ihren wehenden Schärpen und flatternden Fahnen. Fast alle hatten weiße Pferde oder Maultiere, und ihre Hauptbewaffnung bestand aus einer 12-14 Fuß langen Bambuslanze. Mehrere trugen auch Säbel und Beile, aber Feuerwaffen bemerkte wir bei keinem.

Nach einem kurzen Halt setzten sie sich in Marsch und trabten dicht gedrängt den Berg hinab, auf Chefu los. Sie waren jetzt noch ungefähr tausend Schritt von den äußersten Vorposten der Franzosen entfernt, und wir erwarteten in ängstlicher Spannung jeden Augenblick den Beginn des noch immer sehr zweifelhaften Gefechts, als ein Donner durch die Berge rollte. Ein bläulicher Rauchstreifen zischte wie ein Meteor durch die Luft, und unmittelbar darauf sahen wir mitten im dichtesten Haufen eine Explosion stattfinden.

Das englische Kanonenboot »Insolent« hatte mit seltener Präzision eine 68pfündige Bombe in die Feinde geworfen. Die Wirkung war außerordentlich und für die Rebellen, die wahrscheinlich in ihrem Leben nie etwas Ähnliches gesehen, wahrhaft dämonisch. Der furchtbarste Schrecken schien mit einem Male unter sie gefahren zu sein; im wildesten Durcheinander sprengten sie nach allen Richtungen hin; ein Teil der Pferde ging durch, die unkundigen Reiter flogen wie Mohnköpfe herab, und der Haupttross stob im Karriere die Anhöhe wieder hinan. Eine zweite Bombe sauste ihnen nach und schlug mit den Kugeln der Barkassengeschütze in ihre hintersten Reihen; aber zu weitern Schüssen kam es nicht; ehe noch wieder geladen werden konnte, war das Plateau rein gefegt, kein Pferd, keine Schärpe oder Fahne war mehr zu erblicken. Chefu war gerettet, aber wo die Granate gesprungen war, sah man einen Haufen von Pferden und Menschen sich im Todeskampf in ihrem Blute wälzen; 11 Tote und 15 tödlich Verwundete waren die Resultate.

Diese Warnung genügte, um die Rebellen von jedem weitern Angriff auf Chefu abzuhalten. Sie zogen sich südwärts hinter dem Gebirge herum, und schon am andern Abend sah man am Feuerschein der brennenden Dörfer, dass sie sich 4-5 Meilen östlich von der Stadt befanden.

Die Mandarine der Stadt hatten ebenfalls große militärische Vorbereitungen machen lassen. Die Tore waren verbarrikadiert, Geschütze aufgepflanzt und außerhalb der Stadt verschiedene Lager von 2-300 Mann Besatzung mit einem wahren Arsenal aller möglichen und unmöglichen Waffen ausgerüstet. An prahlenden Fahnen fehlte es ebenso wenig, und die alten Luntenflinten und Geschütze aus dem 16. Jahrhundert knallten unaufhörlich Tag und Nacht, solange die Rebellen noch jenseits der Berge waren. Sobald aber am 7. Oktober abends die unmittelbar hinter den Bergen gelegenen Dörfer brannten, war auch nicht einer der tapfern Helden in den durch Wälle und Gräben geschützten Lagern mehr zu finden. Alle hatten sich verkrochen, und erst nach der Entfernung des Feindes kehrten auch die mutigen Verteidiger wieder.

Im Hafen lagen etwa 40 - 50 große Dschunken aus Kanton, Amoy und Ningpo. Diese sind stets sehr stark bemannt und auch ziemlich gut bewaffnet. Die Mandarine waren am 8. morgens an Bord dieser Dschunken gefahren und hatten deren Besatzungen aufgefordert, die Garnison der Stadt zu verstärken, und zwar sollte dies abwechselnd, einmal von den Kwangtung-Leuten und das andere mal von denen aus Amoy und Ningpo geschehen. Diese hatten sich auch dazu bereit finden lassen, und die Kwangtung-Leute verrichteten zuerst ihren Dienst, ganz so wie es sich gehörte. Am 9. Oktober kamen die aus Ningpo an die Reihe. Diese spielten jedoch selbst die Rebellen, brachen in die Kaufläden ein und raubten was sie konnten. Auf das Geschrei der Beraubten rückte eine französische Patrouille zu Hilfe, es kam zum Gefecht, und sechs der Marodeure blieben auf dem Platz, während 10-12 schwer verwundet wurden, ohne dass die Franzosen selbst den geringsten Verlust erlitten. Sämtliche Dschunkenleute wurden infolgedessen auf ihre Fahrzeuge zurückgewiesen und am Hafen eine Postenkette mit dem Befehl aufgestellt, auf jedes chinesische Boot zu schießen, das an einer andern als der bestimmten Stelle landen würde.

Am 12. Oktober unternahmen die Franzosen mit 400 Mann und zwei Geschützen eine Rekognoszierung nach Westen, die sich 4 Meilen weit erstreckte. Sie fanden keine Spur von den Rebellen mehr, wohl aber genug Zeichen der von ihnen verübten Scheußlichkeiten. Die kleinen Teiche, welche sich zur Bewässerung der Felder bei jedem Dorfe befinden, waren mit Leichen von Frauen und Kindern angefüllt, denen man Brüste und Hälse abgeschnitten. Die Männer, welche sich geweigert, den Rebellen zu folgen, waren niedergehauen oder, wenn sie Widerstand geleistet, auf grausame Weise zu Tode gemartert worden. So fand man in einem Hause fünf Chinesen mit den hinter dem Rücken zusammengebundenen Daumen an den Dachbalken aufgehängt und durch unter ihnen angemachtes Feuer gebraten. Es dokumentierten sich bei dieser Gelegenheit so recht die schon früher von mir hervorgehobenen Züge des chinesischen Charakters: Feigheit und raffinierte Grausamkeit. Auch die Leichen zweier amerikanischer Missionare, Parker und Holmes, die, freilich unklug genug und gegen den ausdrücklichen Befehl des französischen Admirals, von Chefu aus den Rebellen entgegengeritten waren, um sie von weiterem Vordringen abzumahnen, wurden schrecklich verstümmelt und fast verkohlt aufgefunden.

Die Kaiserlichen machten es jedoch nicht im mindesten besser. Die die Rekognoszierung begleitenden Chinesen hatten in einem Dorfe zwei zurückgebliebene verwundete Rebellen gefasst, und ebenso waren vier als Spione verdächtige Individuen in Chefu selbst ergriffen. Die beiden Rebellen begoss man von unten bis oben mit Öl, legte sie auf eine Art Rost und briet sie bei lebendigem Leibe. Noch halb lebend hackte man sie allmählich in Stücke, bis zuletzt nur noch halbverkohlte blutige Fleischklumpen übrig waren. Zwei der Spione wurden auf ähnliche Weise zu Tode gemartert; die beiden andern, ein Greis von 70 Jahren und eine junge Frau, gelang es uns, die wir als Europäer damals Halbgötter waren, ihnen zu entreißen und sie dem französischen Konsul zu übergeben, der, wie wir gleich vorausgesetzt hatten, sie ganz unschuldig fand und in Freiheit setzte.