Beziehungen China's zu den Westmächten nach dem zweiten Opiumkrieg

Meyers Konversations-Lexikon, 1875

Die Beziehungen Chinas zu den europäischen Staaten waren zeitweise vollkommen befriedigend  insbesondere verstand es der Amerikaner Burlingame, den die Regierung in ihre Dienste nahm und als ihren Botschafter in Paris wie als Begleiter der Gesandtschaft verwandte, welche Europa 1868 bereiste, den Charakter und die Anlagen der Chinesen wie die Absichten ihrer Regierung in das günstigste Licht zu stellen. Es mag sein, dass Burlingame der Einfluss seiner Umgebung zur Überschätzung der Chinesen verleitete, wie sich dies wiederholt schon bei Europäern bemerkbar machte, welche längere Zeit in China lebten; seine Schilderungen haben sich wenigstens nicht als zuverlässig bewährt.

Verwickelungen mit den europäischen Mächten fanden bisher nicht statt; sie werden aber gefürchtet, da sich die Regentschaft in der Audienzfrage, d. h. in dem Verlangen der Botschafter, mit dem Kaiser und seinen Beamten in denselben Formen zu verkehren, wie sie unter zivilisierten Völkern gebräuchlich sind, sowie in anderen auf Beseitigung von mancherlei Plackereien im Verkehr gerichteten Forderungen entweder völlig ablehnend verhält, oder die Entscheidung immer hinauszuschieben pflegt. Klarheit über die Pläne der Regierung hoffte man von der Thronbesteigung des Kaisers, die 23. Febr. 1873 erfolgte. Die europäischen Mächte hatten sich inzwischen zuwartend verhalten. Jetzt wurde endlich der Empfang der fremden Gesandten durchgesetzt. Derselbe scheiterte bisher an den Ansprüchen des chinesischen Kaisertums, alle anderen Fürsten als seine Vasallen zu betrachten und deren Gesandten nur unter den Formen der tiefsten Untertänigkeit sich nahen zu sehen. Diese Ansprüche gab man endlich auf, und so werden 29. Juni 1873 die Gesandten von England, Frankreich, Russland, Amerika und Holland von dem Kaiser von China in förmlicher Audienz empfangen.