Die Franzosen plündern den Sommerpalast

Meyers Konversations-Lexikon, 1875

Nachdem aber im März 1859 Lord Elgin und Baron Gros nach Europa zurückgekehrt waren, suchte die chinesische Regierung den mit Wahrung der Interessen Englands und Frankreichs beauftragten Herren Bruce und Bourboulon gegenüber die Vollziehung der Ratifikation unter allerhand Vorwänden hinauszuschieben. Ihr Vorschlag, die Ratifikation in Schanghai vorzunehmen, wurde zurückgewiesen, denn die Vertreter Englands und Frankreichs sollten sich nicht auf dem Peiho geradenwegs nach Peking begeben. Diese beharrten aber darauf, und als sie im April 1859 in Erfahrung brachten, dass die Befestigungen am Peiho wieder hergestellt seien, glaubten sie hierin eine feindliche Demonstration sehen zu müssen. Bruce sandte sofort das englische Geschwader (das französische befand sich in Kotschinchina) nach der Mündung des Flusses um dieselbe abermals forcieren zu lassen.

Am 24. Juni begann das englische Geschwader unter Admiral Hope den Angriff auf die Forts. Diese waren aber inzwischen in so guten Verteidigungszustand gesetzt worden, dass sich die Engländer nach einem mörderischen Kampf mit einem Verlust von 464 Toten und Verwundeten zurückziehen mussten. Die Ehre der britischen Waffen heischte Genugtuung, und da Frankreich wenigstens moralisch bei diesem Konflikt beteiligt gewesen war, so gab diese Niederlage die Veranlassung zu einer neuen englisch - französischen Expedition gegen China, Über das 7500 Mann starke französische Korps erhielt der General Cousin-Montauban den Oberbefehl; das Geschwader kommandierte Admiral Charner. Die Engländer stellten 7800 Mann europäische, 4800 Mann indische Gruppen. Im April 1860 langten die Streitkräfte der Westmächte in Schanghai an, als Ziel war ihnen die Hauptstadt Peking gesetzt.

Am 19. Juli begannen die Operationen direkt gegen diese Stadt. Bis zum 21. August waren sämtliche Forts und die Ortschaften zu beiden Seiten des Flusses erstürmt und besetzt, 518 Kanonen und große Vorräte erbeutet. Die Einnahme von Tianjin war die unmittelbare Folge davon. Kaiserliche Kommissäre, welche jetzt eintrafen, gingen bereitwillig auf alle Bedingungen (Erstattung der Kriegskosten, freier Zutritt in alle Städte, ständiger Aufenthalt der Konsuln in Peking und sofortige Zulassung der Gesandten in die Hauptstadt) ein; da sich aber bald herausstellte, dass diese Kommissäre gar keine Vollmachten besaßen und erst an den kaiserlichen Hof berichten zu müssen versicherten, so ließen die Verbündeten 9. September ein Korps von 6000 Mann nach Tungtschao, 30 Kilometer von Peking, vorrücken. Schon am 11. und 12. kamen neue Gesandte von Peking, welche vorgaben, zum vollständigen Abschluss aller Verhandlungen mit den Gesandten ermächtigt zu sein, aber auf dem Rückzug der Verbündeten nach Tiantsin bestanden. Hierauf gingen diese nicht ein, und die chinesischen Unterhändler mussten einwilligen, dass die Unterhandlungen in Tungtschao eröffnet werden sollten, wogegen die Verbündeten versprachen, dass die Hauptmasse ihrer Truppen in Tungtschao bleiben und nur ein Gefolge von 1000 Mann als Ehrenwache die Gesandten nach dem Orte der Verhandlungen sowie später nach Peking begleiten sollte. Eine Anzahl englischer und französischer Offiziere ward vorausgeschickt, um sich mit den chinesischen Behörden über die zur Aufnahme der Gesandten und zur Unterbringung der Truppen erforderlichen Maßregeln zu verständigen. Die meisten derselben wurden aber von tatarischen Soldaten überfallen (18. September), entweder im Kampf getötet, oder sie verschmachteten nach unsäglichen Qualen im Gefängnis. Auch die auf dem Marsch nach Tungtschao begriffenen Truppen sahen sich ringsum von dem Feind umstellt; erst ein Reiterangriff, der den Chinesen etwa 1000 Mann und 60 Stück Geschützee kostete, machte sie frei. Den Ausgang des Feldzugs entschied das Treffen vom 21. September bei Palikao, wo der chinesische Anführer Lankolinsin seine ganze gegen 50,000 Mann zählende Streitmacht gegen Montaubans 3000 Mann starkes Korps anfgestellt hatte. Die Franzosen schlugen hier, zu rechter Zeit von 3—4000 Ensländern unterstützt, die Tataren zurück, und der Tag endete mit einem vollsiändigen Sieg, den 6—7000 Mann über etwa 50,000 Mann, worunter 30,000 Reiter, davontrugen, ohne mehr als etwa ein halbes Hundert Tote und Verwundete zu zählen. Die Straße nach Peking stand den Verbündeten nunmehr offen.

Noch wagten die Chinesen, den Rückgang der Verbündeten nach Tiantsin als Bedingung der Unterhandlung zu verlangen; die Verbündeten beantworteten dies Verlangen aber mit dem Aufbruch nach Peking (5. Oktober). Ohne Schwertstreich nahmen die Franzosen Besitz vom kaiserlichen Sommerpalast und plünderten die ungeheuren Schätze desselben mit einer Rücksichtslosigkeit, welche von der öffentlichen Meinung laut gemißbilligt worden ist, während die Engländer sich an dieser Plünderung nicht beteiligten.

Die gesamte Armee rückte dann gegen Peking vor. Die Bedingungen wurden jetzt infolge der Berichte von befreiten Gefangenen über die Misshandlungen, die sie zu erdulden gehabt, verschärft Übergabe eines Stadttors und Entschädigung von 4 Mill. Franken für die Angehörigen der Opfer des Verrats vom 18. September waren die vorläufigen Forderungen. Auch erklärte Lord Elgin, dass er zur Strafe für die grausame Behandlung der Gefangenen den Sommerpalast verbrennen lassen werde, was am 18. und 19. Oktober geschah. Der Hochmut der Chinesen war endlich gebrochen; die Forderungen wurden zugestanden, ebenso in das weitere Verlangen eingewilligt, dass der Friede in der Stadt selbst unterzeichnet werden sollte, und dass die Bevollmächtigten Frankreichs und Englands, Lord Elgin und Baron Gros, dabei von je 1000 Mann begleitet würden. Ihr Einzug fand 24. und 25. Okt. 1860 statt, und der Friede wurde darauf unterzeichnet.

Die Verbündeten räumten aber Peking nicht eher, als bis der Abschluss des Vertrags in der amtlichen Regierungszeitung (am 6. und 8. November) publizieirt worden war. Am 18 November hatte sich das ganze Expeditionskorps in Tiantsin wieder vereinigt, und obwohl der Feldzug hiermit beendet war, so hielten die Verbündeten doch diesen Platz sowie die Befestigungen des Peiho und mehrere Punkte an der Küste dem Vertrage gemäß besetzt. Der Verbreitung europäischer Kultur in China wurde aber nicht, wie damals gehofft worden war, sofort Bahn gebrochen.