Meyers
Konversations-Lexikon, 1875
Die vorzüglichste und zugleich in höchsten Ehren stehende Beschäftigung der Chinesen ist der Landbau, der als die Grundlage aller Staatsordnung gilt. An Stelle der unbestimmten und sagenhaften Berichte gibt S. Syrski im Anhang II zu v. Scherzers Buch »Siam, Japan und China« eine ausführliche Abhandlung.
Das Land wird als dem Kaiser gehörend betrachtet; Seit dem Ende der 3.. Dynastie (4. Jahrh. v. Chr.) erhebt jedoch der Staat nur noch eine Abgabe, während früher ein Teil für den Landesfürsten bebaut wurde, und der Grundbesitzer ist jetzt nicht weiter beschränkt, als dass er des Landes bei Nichtanbau verlustig wird. (Über Grundeigentum vgl. v. Sacharoff, Arbeiten der russischen Gesandtschaft in Peking über China, Bd. l.)
In der Ebene ist das Land sehr parzelliert, Hier kann eine Familie von 5 Mitgliedern sich von 1 bis 2 Hektar eigentümlichen Ackerbodens ernähren; ein Besitzer von 6 und mehr Hektar gilt als ein vermögender Mann; man findet übrigens Besitzungen von 600 und, in hügeligen Gegenden, von 12 bis 1800 Hektar. Ein Pächter kann sich und seine Familie vom Ackerbau allein erst mit 2 Hektar Land ernähren; der Pachtzins beträgt durchschnittlich ein Drittteil des Ertrags.
Bei Bearbeitung des Bodens werden am meisten Hauen und Rechen verschiedenster Konstruktion verwendet; Pflüge und Eggen sind nur auf größeren Gütern in Gebrauch. Das Getreide wird entkörnt durch Anschlagen, durch Auftreten von Tieren oder mit Dreschflegeln, zum Enthülsen von Reis oder Mähen von Getreide dienen Mühlen, welche durch Menschenhände, Büffel oder Wasser bewegt werden; zur Entkörnung und Reinigung der Baumwolle einfache, unseren Anforderungen nicht genügende Geräte. Zum Einsammeln, Transport und zur Verwendung der menschlichen Auswurfstoffe dienen höchst verschiedenartige Gefäße und Vorrichtungen.
Die Chinesen sind in der Verwendung der einfachen Düngerarten und der Zurichtung von Komposten nicht erfinderischer als wir; aber charakteristisch für sie ist die sorgfältige Sammlung allem Düngers, seine Anwendungsweise (Überrieselung mit flüssigem oder pulverisiertem Dünger nach der Aussaat) und die ergiebige Düngung. Fruchtwechselwirtschaft ist Regel; man lässt jedoch nicht die Pflanzen »den Boden sich gegenseitig vorbereiten«, sondern man bereitet ihnen den Standort durch zusagende Düngung.
Der Ackerboden besteht meist aus jüngstem Alluvium; mit Ausnahme des nördlichsten China. kann überall das ganze Jahr hindurch im Feld gearbeitet, ja im südlichen China auch gesät, gepflanzt und geerntet werden; namentlich sind es die verschiedenen Gemüsearten, die man auch mitten im Winter für die Nahrung einsammelt. Die Hauptarbeiten beginnen im März, enden im November. Es wird meist in Drüllen gesät und gepflanzt; Gewinnung von Unterfrüchten wird allgemein angestrebt.
Die Düngerarten werden hinsichtlich ihrer Düngkraft meist klassifiziert wie folgt: Ölkuchen; menschliche Exkremente (nur verdünnt angewandt); Schweinedünger (getrocknet und im zerkleinerten Zustand ausgestreut); Büffel- und Ochsendünger sowie Ziegen- und Pferdedünger (selten, meist in flüssigem Zustand verwandt); Wasserpflanzen (sehr zahlreich angewandt); Asche (meist mit anderem Stoffe vermischt); gebrannter Kalk; in Fäulnis übergegangene Fische.
Das wichtigste Bodenprodukt des südlichen und mittlern China ist Reis, in der Nähe der Küste Baumwolle; im nördlichen China werden statt Reis Hirsearten, dann Weizen und Hülsenfrüchte gebaut. Von grünem Gemüse und Zwiebelgewächsen, von Wurzel- und Knollengewächsen werden verschiedene Arten angebaut und enorme Quantitäten gewonnen.
Von der Kultur des Teestrauchs wurde bereits oben gehandelt; er erfordert kräftige Düngung, fleißige Bodenbearbeitung und wird im Jahr seines Wachstums nahe am Boden abgeschnitten, damit die Stümpfe neue Schösslinge treiben und zartere Blätter liefern. Die Teeblätter werden für den eigenen Gebrauch sehr einfach zubereitet. Man lässt sie an einem luftigen Ort oder an der Sonne verwelken (aber nicht austrocknen), erhitzt sie dann unter beständigem Mischen auf einem seichten Bambusgeflecht über Kohlenfeuer, rollt sie, indem man über sie, während sie noch warm sind, die flach aufgelegten Hände im Kreis herumführt, und trocknet sie dann an einem luftigen Ort. Der zum Export bestimmte Tee wird von den Händlern in eigenen Öfen wiederholt (bis viermal stark erhitzt, geröstet, mit wohlriechenden teuren Blüten vermischt und an der Luft ausgetrocknet.
Auch Öl gebende Pflanzen werden vielfach angebaut; unter den Gespinst- und Faserpflanzen sind neben der Baumwollstaude Hanf, darunter das sogenannte chinesische Gras (Boehmeria niwea) die wichtigsten. Blauer Farbstoff wird aus Indigofera tinctoria, Polygonum tinctorium usw. im südlichen und mittlern China gewonnen.
Die Kunstgärtnerei wird sowohl im Freien als in geschlossenen Räumen mit vieler Sachkenntnis und Sorgfalt betrieben.
Die Forstwirtschaft wird dagegen ganz vernachlässigt; auch der eigentliche Wiesenbau, verbunden mit Heugewinnung, wie die Viehzucht (s. oben) ist den Chinesen fremd.
Eine besondere Wichtigkeit hat für China der Seidenbau, der auf einer hohen Stufe der (Entwickelung steht; die meiste und beste Seide liefern: die mittleren Provinzen. Der Maulbeerbaum erfreut sich einer sachkundigen und sorgfältigen Pflege, die Seidenraupenzucht ist aber weniger fortgeschritten. Eine Besonderheit ist hier wie in Japan der Seidenspinner.
Alle Zweige der Landwirtschaft leiden unter mancherlei vermeintlichen Erfahrungsregeln.
Die Fischerei, und zwar das Fischen von Pflanzen wie von Süßwassertieren und einigen Seetieren, beschäftigt eine große Menge von Leuten und liefert für die Nahrung der Menschen wie für Düngung der Felder enorme Massen; die Fischerei wird häufig mittels eines abgerichteten Kormoran (Seeraben) ausgeübt und ist dann höchst ergötzlich für die Zuschauer.
Zu den Landplagen, welche oft Misswachs und Hungersnot zur Folge haben, gehören vor allem die Überschwemmungen, weil der Reis meist in den Flusstälern angebaut wird; weniger fühlbar auf weite Strecken macht sich Trockenheit.
Für Zeiten der Hungersnot hat die Regierung wie die Privatwohltätigkeit
Speicher angelegt, wo ein Teil der in Reis entrichteten Grundsteuer oder
angekaufte Frucht aufbewahrt wird, bis Missernte unentgeltliche Abgabe oder
Verkauf unter denn Marktpreis nötig macht. ![]()