Meyers
Konversations-Lexikon, 1875
Das chinesische Kriminalgesetzbuch verliert sich in Kasuistik und belegt eine große Menge von Handlungen mit Strafe. Es sondert Verbrechen und Vergehen und unterscheidet Taten, die mit Vorbedacht, und Taten, die ohne Absicht begangen wurden. Vieles in der chinesischen Kriminalpolitik widerstreitet unseren Anschauungen und Sitten. Tötung eines Menschen, Raub, Diebstahl gelten zwar für Verbrechen, aber bei weitem nicht für die größten; sehr hart werden dagegen Verfehlungen gegen Moral und Impietät gestraft, weil sie nicht wie Diebstahl unter dem mildernden Umstande des Dranges der äußeren Verhältnisse verübt werden, sondern aus schlechtem Charakter entspringen. Bemerkenswert ist, dass ein Recht des Aufstandes gegen Tyrannen anerkannt ist.
Um Geständnisse zu erlangen, werden die unglaublichsten Torturen angewendet,
und die Behandlung der Gefangenen, die man wie wilde Tiere einsperrt, ist
unmenschlich. 10 bis 100 Hiebe auf die Fußsohlen, Transportation, ewige
Verbannung in ferne Provinzen, harte Sklavenarbeit und Tod sind die gesetzlichen
Strafen. Die Todesstrafe wird überaus häufig vollzogen, oft Zu 100 an einem
Tag; Enthauptung und Erdrosselung sind die gewöhnlichen Arten der Hinrichtung.
Nach dem Urteil Sachkundiger sterben die meisten Beschuldigten an den Folgen der
Tortur und der Haft. ![]()