Volksreligion

Meyers Konversations-Lexikon, 1875

Über das Zahlenverhältnis der Anhänger dieser drei Hauptreligionen, die in viele Sekten gespalten sind, lassen sich noch keine bestimmten Angaben machen. Nach der großen Menge buddhistischer Klöster zu schließen, mit denen das Land übersät ist, und bei der übereinstimmenden Angabe, dass die unteren Volksklassen sich durchgehend zum Buddhismus bekennen, kann die Mehrzahl des Volks (Gützlaff und nach ihm Lassen und F. Schlagintweit nehmen zwei Drittel an) als Buddhisten gelten; vom Reste darf nur eine verhältnismäßig geringe Zahl als Laotse-Anhänger gerechnet werden.

Man würde aber die Zustände in China falsch beurteilen, wenn man annehmen wollte, dass die Chinesen in scharfem und bewusstem Gegensatz hinsichtlich ihrer religiösen Anschauungen leben: auf der Basis des für China typischen Ahnenkultus hat sich eine Volksreligion gebildet, die im ganzen überall die gleiche ist, wenn sie auch aus verschiedenen Quellen entsprungen ist.

Bei den niederen Klassen zeigt sich diese Volksreligion als Aberglaube, bei den Gebildeten hat sie einer flachen Aufklärung mit allerlei nach Religion und Sekte wechselnder Tugendschwätzerei Platz gemacht.

Die Opfer für Ahnen und Geister sind allgemein; der Glaube an Seelenwanderung, eine der alten Religion, wie erwähnt, ganz fremde und entgegengesetzte Vorstellung, kam mit dem Buddhismus ins Land und beherrscht die Anhänger aller Sekten und Religionen.