Meyers
Konversations-Lexikon, 1875
Obschon die Liebe zur Heimat der Auswanderung ans China entgegenwirkt, so treibt doch die Übervölkerung mancher Gegenden des Landes und die häufig dort auftretende Hungersnot alljährlich Tausende von Chinesen in die Fremde; sie verlassen jedoch ihr Vaterland nur in der Absicht, nach einigen Jahren dahin zurückzukehren. Begräbnis in der Fremde gilt als Unglück; man sucht es dadurch zu beseitigen, dass man den Toten wenigstens in heimatliche Erde legt, deren Import sich nach allen Punkten lohnt, wo chinesische Arbeiter sind.
Nach Hinterindien und dem ostindischen Archipel waren Auswanderungen schon lange in Gang, bereits 1832 schätzte man die Zahl der Chinesen außer Landes zu 3 Mill. chinesische Kaufleute, Groß- und Kleinhändler, befinden sich in jedem Handelsort von Hinterindien und Japan.
Die Entdeckung des Goldes führte Ende 1848 die ersten Chinesen nach Kalifornien; seit 1850 wurde der Zuzug bedeutend, der Zensus von 1870 verzeichnet in Kalifornien 49,229, in ganz Nordamerika 63,196 Chinesen. Sie sind mit den verschiedenen Arbeiten beschäftigt, am zahlreichsten in der Haus- und Landwirtschaft.
Ein Fabrikant in Massachusetts beantwortete (Mai 1870) den Streik seiner Arbeiter mit Berufung chinesischer Arbeiter und reüssierte vor-trefflich; es ist neuerdings auch in England der Vorschlag gemacht worden, Chinesen zu importieren zur Verwendung in der Landwirtschaft, und da China uns Millionen genügsamer, fleißiger und ausdauernder Arbeiter abgeben kann, so darf es nicht als unmöglich bezeichnet werden, dass Chinesen auch in Europa noch als Arbeiter gedungen werden.
Die Auswanderung betrug allein im Hafen Swatau (Provinz Kuangtung) in den drei Monaten Oktober, November, Dezember 1869:13,732 Chinesen; die Einwanderung von Chinesen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika in den Jahren 1872-73:20,292; nach Peru in den acht ersten Monaten 1872 über 12,000. Dies mag einen Begriff von der Ausdehnung der Auswanderung geben, für deren Zunehmen sich besonders Agenten von Nord- wie Südamerika bemühen.
Die nordamerikanischen Konsuln sind streng angewiesen, darüber zu wachen, dass in China nur solche Chinesen nach Nordamerika verschifft werden, die aus freiem Antrieb sich dazu entschließen; die sogenannten Kuliagenten hatten sich des gewissenlosesten Verfahrens bedient, um ihren Kommittenten viele Seelen zu liefern.
Als im (September 1872 japanesische Behörden ein peruanisches Schiff angehalten und festgestellt hatten, dass die Kuli wider Willen fortgeschleppt und an Bord schlecht behandelt worden waren, schritt selbst die chinesische Regierung zu Untersuchungen, um ihrem 1866 zunächst mit England vereinbarten und später als Landesgesetz publizierten Regulativ über die Auswanderung Achtung zu verschaffen.
Ausführliche Beschreibungen des Lebens der Chinesen im Ausland lieferten
für Java Aquasie Boachi, Prinz von Ashanti, in der »Zeitschrift der Deutschen
morgenländischen Gesellschaft« (Bd. 9), für Amerika R. v. Schlagintweit in
»Kalifornien« (2. Aufl., Leipzig 1871), mit vielen wichtigen Bemerkungen über
ihre Bedeutung für Amerika. ![]()