Gu Hongming 辜鸿铭 (1856-1928)

Seine Familie stammte aus Tong'an 同安 in der Provinz Fujian, er selbst wuchs in Singapur auf und studierte später in England, Frankreich und Deutschland. Er war einer der ersten chinesischen Intellektuellen, die mehrere ausländische Sprachen fließend beherrschten und die europäische Kultur gründlich kannten. Am Ende der Qing-Dynastie diente er als Sekretär des Generalgouverneurs Zhang Zhidong 张之洞 in Wuhan und im Außenministerium. Nach der Revolution hatte er vorübergehend eine Organisationsaufgabe bei den Grabungsarbeiten am Huangpu in Shanghai inne und lehrte dann an der Beijing Universität, die zum zentralen Impulsgeber für das neue China wurde. Er selbst gilt als Führer der konservativen, west-kritischen Gruppe "Sonderbarer Kultur-Helden".

Er hielt die klassische chinesische Kultur und das Kaisertum hoch und widersetzte sich dem von ihm deutlich empfundenen Kulturverlust durch Kommerzialisierung aller Lebensbereiche. Ein interessanter Gedanke, den er im "Geist des chinesischen Volkes" äußerst, ist, dass Asien bzw. China den Schlüssel zu einer künftigen, gedeihlichen Entwicklung der Welt hätte, der den "Maschinen-Menschen" im Westen verloren gegangen sei.

In seinem Verhalten scheint er sich von seinen intellektuellen Zeitgenossen abgehoben zu haben. Richard Wilhelm schildert ihn als energischen, leidenschaftlichen Verfechter seines manchmal etwas ausufernden Ideenguts, der auch für nächtelange Diskussion gut war und so dem Grafen Keyserling verdeutlichte, dass "Chinesen westlicher Lebendigkeit sehr wohl gewachsen seien":

Auch von Europa kamen bedeutende Männer nach Qingdao. Derjenige, auf den die chinesische Kultur den tiefsten Eindruck gemacht hat, war Graf Keyserling. Auf seinen Wunsch brachte ich ihn zusammen mit einer ganzen Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten. Teils höhere Beamte, teils Gelehrte waren versammelt. Die Mehrzahl waren Konfuzianer; Taoisten und Buddhisten waren ebenfalls vertreten. Graf Keyserling hat in seinem Reisetagebuch seine Eindrücke von diesem Mahl berichtet. Ich möchte hier nur hinzufügen, dass ich selten mit solcher Freude den Dolmetscher gespielt habe. Während so oft das Zusammensein von Europäern und Chinesen kaum über freundschaftliches Zutrinken oder die alleroberflächlichsten konventionellen Gespräche hinausgeht, war hier, dank der fast medialen geistigen Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit des Grafen, im Augenblick der Kontakt hergestellt, und die Unterhaltung bewegte sich in wesentlichen Dingen. Die Chinesen waren vom Grafen Keyserling entschieden beeindruckt. Noch Jahre später hat mich der Präsident Xu Shichang, der damals in Qingdao auch bei Tisch war, nach ihm gefragt. Sie hatten von ihm den Eindruck eines bedeutenden, sehr lebendigen Mannes, dem es Ernst sei, wirklich von der chinesischen Kultur zu lernen. Von allen Seiten kamen sie ihm entgegen. Denn nichts öffnet in China die Herzen so, wie die aufrichtige Absicht einer gegenseitigen Verständigung. Freilich mit ihrem tiefsten und letzten Wissen gehen sie nicht leicht heraus. Eine gewisse Scheu hält sie stets davon zurück. Man redet nur von dem allgemein Zugänglichen; wer den Blick hat, wird das Tiefere aus dem Sein und der Persönlichkeit von selbst entnehmen. Aus der alten chinesischen Geschichte werden manche Beispiele davon erzählt, dass zwei Menschen einander nur zu sehen brauchen, und eine Weile beieinander zu sein, um sich in den tiefsten Prinzipien zu verstehen.

Graf Keyserling saß, nachdem die Gesellschaft sich zerstreut hatte, noch bei mir und sprach über sein Erleben. Er hatte einen tiefen Eindruck bekommen von der ruhigen Klarheit der alten Herren und der letzten Einfachheit und Großzügigkeit ihres Wesens. Aber worin er den Westen überlegen glaubte, das war die Vitalität, die Nervenkraft und Lebendigkeit. Er hatte den Eindruck, als wäre das chinesische Wesen westlicher Lebendigkeit nicht ganz gewachsen. Ich sagte ihm, dass ich nur wünsche, dass er Gu Hongming kennen lernen möchte, der an Vitalität und Nervenausdauer hinter keinem Europäer zurückstehe. Wie es der Zufall wohl fügt, so klopfte es in diesem Moment an, und Gu Hongming trat ein, um sich für die Nacht anzumelden. Er hatte noch nicht das frugale Abendessen, das er sich bestellt hatte, fertig, da war das Feuer der Unterhaltung schon eröffnet, und wirklich, der Graf hatte einen Menschen gefunden, der ihm an Vitalität gewachsen war. Die Unterhaltung sprühte förmlich Funken, infolge der gegenseitigen Induktion. Wenn der Graf das Wort ergriffen hatte, konnte Gu Hongming es kaum abwarten, bis er selbst an die Reihe kam. Dann redete er und schrieb: chinesisch, französisch, deutsch, englisch, alles durcheinander. Die ganze Weltgeschichte und Gottes Schöpfungsplan, die Seele des Fernen Ostens und die Raubtiernatur des Westens, alles was der östliche Prophet auf Herz und Gewissen hatte, dessen entledigte er sich dem Grafen gegenüber. Endlich waren die Getränke zu Ende. Der Morgen schien dämmernd durch die Fenster herein. Der Boden war fußhoch bedeckt mit Zetteln, die mit chinesischen und europäischen Sprüchen, Andeutungen, Bonmots und Zitaten vollgeschrieben waren. Gu Hongming stand auf und ging zu Bett, und Graf Keyserling bekannte, dass hier tatsächlich ein Chinese von vollgültiger Lebendigkeit ihm gegenüber gestanden habe. (Die Seele Chinas, 1926)

Anfang des 20. Jahrhunderts erlangte er in Europa, insbesondere auch im Deutschen Sprachraum große Bekanntheit. Unter Chinareisenden hieß es damals, "man müsse die Verbotene Stadt nicht unbedingt gesehen haben, wohl aber Gu Hongming".

Im modernen China war er ob seines Konservativismus verständlicherweise umstritten. In aktuellen chinesischen Kommentaren schwankt die Einschätzung zwischen "Sonderling", der sich für das Fußbinden stark machte, und Held, der die traditionelle chinesische Kultur zu einer Zeit hochhielt, da sie allgemein verachtet war. Ungeteilte Anerkennung findet sein Sprachtalent -- er beherrschte insgesamt neun Sprachen.

Gu Hongming war ein eigentümlicher Wanderer zwischen den Welten. Als im Ausland geborener und erzogener Chinese plädierte er in Englischen und Deutschen Texten für Geist und Weisheit einer untergehenden und schließlich versunkenen chinesischen Welt..

Werke:

Papers from a Viceroys Yamen
Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen, 1917
Der Geist des chinesischen Volkes und der Ausweg aus dem Krieg, 1917
Duyitang wenji 读易堂文集 (Aufsatzsammlung aus dem Duyi-Studio)
Kommentar zu den Frühling- und Herbstannalen
Übersetzungen der Analekte und der Doktrin der Mitte
usw.

Richard Wilhelm über seine Tätigkeit an der Beijing Universität

Gu Hongming über Kaiserin-Witwe Zixi

Chinas Verteidigung gegen westliche Ideen, 1917