4. Januar 1898

Sir Claude erzählt, Li hung chang habe Angebot vom Finanzminister Witte für große Anleihe unter russischer Garantie...

Telegramm aus Chefoo, im Missionsgebiet herrsche Unruhe und ein englischer Missionar sei ermordet. Herr Bauer hörte aus dem Ya-men, die Chinesen würden keinesfalls nachgeben. Der Deutsch redende Chinese Yu Yin chang aus Tientsin, der zu Verhandlungen besonders heraufbeordert worden ist, sagt, sie würden sich in alles fügen.

Aus Berlin fragt Herr von Bülow an: „Sind jetzt englische Kriegsschiffe in Port Arthur?" Admiral Diederichs telegraphiert über Berliner Instruktionen und Landkaufangelegenheiten...

Gleich nach dem Tiffin begab sich Edmund auf das Tsungli und ließ sich von der gesamten Gesandtschaft begleiten, so dass es ein imponierender Aufzug war. Die beiden Prinzen, das ganze Tsungli Yamen mit Ausnahme von Li hung chang waren anwesend. Edmund ließ folgende Rede durch Franke chinesisch vorlesen:

„Erlauchte Prinzen und meine Herren Minister! Von einem Tisch, auf dem lauter schöne Dinge stehen, eine Auswahl zu treffen und sich die schönste Sache herauszusuchen, ist nicht schwer, und jeder unerfahrene Mensch kann das. Aber wenn man von Schwierigkeiten umgeben ist, denjenigen Weg zu wählen, der am wenigsten Gefahren bringt, ist eine Aufgabe, an der sich die Weisheit der erlauchten Geister erprobt, und im politischen Leben ist, wenn der Staat gefährdet scheint, die schwierigste Aufgabe des wirklichen Staatsmannes die, den Weg zu finden, auf dem sich das Ziel eines erträglichen Ausgangs erreichen lässt.

Erlauchte Prinzen und meine Herren Minister! China befindet sich heute in einem solchen gefährlichen Moment, das Staatsschiff ist von Klippen umgeben, und Eurer Weisheit, meine Herren, ist es überlassen, es vom Scheitern zu retten. Ich bin gekommen, Euch in wahrer Freundschaft für China zu sagen, welchen Kurs Ihr steuern müsst.

Erlauchte Prinzen und meine Herren Minister! Ich erkläre Euch auf das bestimmteste, namens meiner hohen Regierung, dass Kiautschou ein deutscher Hafen ist und bleiben wird. Deutschland hätte gar nicht nötig, über diese Tatsache weitere Verhandlungen zu führen, denn da ist nicht eine Macht in der Welt, die einen Finger rühren würde, um China zum Wiederbesitz von Kiautschou zu verhelfen, und China selbst ist ohnmächtig; es hat weder eine Armee noch eine Flotte.

Aber aus alter Freundschaft für China haben wir den Weg der Verhandlungen gewählt und Euch einen Vertrag proponiert, durch welchen die Ehre und das Ansehen Chinas gewahrt und die Ansprüche Deutschlands auf das bescheidenste Maß heruntergedrückt sind.

Wir beanspruchen keine Gebietsabtretung, sondern wir erkennen an, dass das Gebiet fortdauernd dem Kaiser von China gehört, und verlangen bloß, dass ein kleines Stück Land uns pachtweise überlassen werden möge.

In Europa ist allgemein die Ansicht verbreitet, dass wir die ganze Provinz Shantung in Anspruch nehmen würden, und ich erkläre Euch offen, dass unsre Militärs ein weit größeres Gebiet, als ich es beansprucht habe, zu behalten wünschen. Unsre Truppen haben bereits dreimal soviel Gebiet besetzt, als ich fordere, und wenn binnen kurzem unsre Verstärkungen hier eingetroffen sein werden, können wir noch weit mehr besetzen.

Aber die Regierung meines erhabenen Herrn und Kaisers hat aus alter Freundschaft für China lediglich einen schmalen Streifen Uferland an der Kiautschou-Bucht zu pachten verlangt. Und Ihr zögert noch und macht Schwierigkeiten?

Dabei verfahrt Ihr nicht einmal von Eurem Standpunkt aus weise. Denn Ihr habt mir bereits zugestanden, dass die ganze nördliche Landzunge und fast die ganze südliche Landzunge an der Bucht von Kiautschou uns überlassen werden soll.

Aber mit verhängnisvollem Eigensinn haltet Ihr an der theatralischen Prätension fest, auf dieser südlichen Landzunge eine kleine Station besetzt zu halten. Diese Station würde für Euch nicht von dem geringsten praktischen Nutzen sein, und Ihr habt dies Verlangen, das für jeden Staatsmann in Europa unverständlich ist, lediglich gestellt, weil Ihr Euch von Eurem chinesischen Aberglauben nicht freimachen könnt, dass der Schein mehr wert ist als die Wirklichkeit, und dass man den Schein noch retten kann, wenn die Wirklichkeit längst verloren ist.

Seht Ihr denn aber nicht, dass Ihr Euer Gesicht unwiderbringlich verlieren würdet, wenn Deutschland die Kiautschou-Bucht behielte, ohne mit Euch einen Vertrag abzuschließen?

Dann würde das eintreten, wovor Ihr Euch jetzt fürchtet, dass in Europa die Meinung sich verbreitet, man könne China beliebige Gebietsteile entreißen, ohne Verhandlungen zu führen. Dann könnte es sich ereignen, dass auch andre Mächte sich diese angebliche Erfahrung zunutze machten, und dann wäre der Augenblick eingetreten, von dem ich oben gesprochen, und Ihr selbst, nicht Deutschland, hättet das Staatsschiff Chinas zum Scheitern gebracht!

Wenn Ihr dagegen den maßvollen Vertrag, den wir Euch vorschlagen, abschließt, dann wird man in Europa sagen, dass auch ein so mächtiges Reich wie Deutschland sich veranlasst gesehen hat, auf die Wünsche Chinas Rücksicht zu nehmen und nur ein kleines Gebiet pachtweise und in aller Freundschaft erhalten und den größeren Teil des bereits besetzten Gebiets wieder geräumt hat.

Als guter Freund Chinas rate ich Euch in dieser feierlichen Stunde, diesen Weg zu betreten. Ich habe sehr scharfe Befehle von meinem Herrn und Kaiser erhalten, und dies ist vielleicht die letzte Stunde, die Ihr noch frei habt.

Ich will Euch einiges andeuten, was erfolgen würde, wenn Ihr zu Eurem Unglück etwa nicht den vorgelegten Vertragsentwurf annehmen wolltet: Wir würden weder die Stadt Kiautschou, noch die Stadt Tsinio räumen, wie wir jetzt beabsichtigen. Wir würden die Kosten für unsre Okkupation, auf die wir bei Vertragsabschluß verzichten wollen, durch alle Mittel eintreiben, und sie würden sich auf viele Millionen Taels belaufen. Und solange Ihr nicht einen Vertrag mit uns geschlossen habt, wird es Euch unmöglich sein, einen Cash Kupfer irgendwo in Europa zu leihen, und China würde vor dem Bankrott stehen. Auf keinem Markt Europas könnt Ihr eine Anleihe erhalten, solange Ihr mit Deutschland nicht völlig ins reine gekommen seid. Bedenkt dies alles wohl, ehe Ihr mir eine abschlägige Antwort gebt."

Nach dieser Rede wandte sich Prinz Kung an Edmund mit der Frage: „Wenn wir Deutschlands Bedingungen annehmen, wird es dann die Garantie übernehmen, dass nicht andere Mächte ähnliche Verlangen stellen?"

Darauf sagte Edmund, der Prinz könne wohl nur zwei Mächte meinen. Die eine wünsche, soviel er wisse, nur eine ganz kleine Bai im Süden, an der China kaum ein Interesse nähme; was die andre Macht beträfe, so müssten die Chinesen über deren Absichten am besten unterrichtet sein, da sie sie sich ins Land geladen hätten. (Die russische Besetzung Port Arthurs ist ein Werk Li hung changs und soll zwischen ihm und Prinz Kung zu heftigen Auftritten Anlass gegeben haben.)

Darauf frug der Prinz nochmals, ob Deutschland garantieren würde. Und Edmund antwortete, das sei zuviel verlangt, dass Deutschland Chinas Schlachten schlagen solle. Nun rief Chang yin huang: „Lassen wir fallen!" und nun gaben die Chinesen alles zu. Im letzten Moment machten sie noch einen Versuch, die Pachtzeit von 99 Jahren auf 50 herabzusetzen, was Edmund nicht zugestand.

Ich hatte zu Hause in größter Spannung gewartet, und als ich die Sänften ankommen sah, lief ich hinaus, und Edmund rief mir gleich entgegen: „Es ist alles erreicht!" Wir waren unbeschreiblich froh, und Edmund telegraphierte sofort an das Auswärtige Amt...

Bald darauf kam folgendes Telegramm von Bülow:

„Seine Majestät der Kaiser haben geruht, von Ihrer Aufklärung huldreichst vollen Akt zu nehmen und sprachen hierbei die Erwartung aus, dass Sie in Ruhe und Umsicht, aber ohne sich durch Nebenfragen ablenken zu lassen, alle Bemühungen auf das Kiautschou-Abkommen konzentrieren möchten, dessen Zustandekommen für unsern allergnädigsten Herrn in allererster Linie steht."

Na, der Wunsch von S. M. wäre ja nun erfüllt!

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