Peking -- Hotels -- Reisepass

Eugen Wolf (Im Innern Chinas, 1896)

In Peking galt mein erster Besuch der deutschen Gesandtschaft, um einen Reisepass für das Innere Chinas zu erbitten. Der Gesandte, Freiherr von Heyking, tat alle Schritte beim Tsungli-Yamen zur Erfüllung meinen Wunsches. Bald sollte ich aus dem Munde Seiner Excellenz erfahren, dass die Herren chinesischen Staatsräte bockbeinig seien und den Pass nur für vier Provinzen ausstellen wollten. Man müsse sich mit Geduld wappnen. Ich benutzte die Verzögerung, um Ponies und Maultiere zu kaufen, Dienerschaft zu engagieren, drei Karren für das Gepäck zu mieten. Die Hauptlast war die Mitnahme von un-gemünztem Silber in Barren, wovon ich von Peking aus allein über 100 Kilo mit mir führen müsste, in jenem Lande des Hungers und der Armut eine willkommene Gelegenheit für Straßenräuber. 

Hier einige Worte über Peking. "Wenn die Schwalben heimwärts ziehn und die Rosen nicht mehr blühn," dann kann man es wagen, die ungemütlichen Zimmer eines ungemütlichen Hotels zu verlassen und sich auf die Strassen Pekings zu begeben, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, auf Schritt und Tritt über einen europäischen Globetrotter oder eine amerikanische Globetrotteuse zu stolpern. Was wird das erst für ein Kampf um ein elendes Gasthofs-Zimmerchen a 6 Dollar pro Tag werden, wenn einmal die Eisenbahn Tientsin-Peking eröffnet ist; doch damit hat es allerdings , wie ich mich durch persönliche Anschauung überzeugt habe, noch ein Jahr Zeit, und bis dahin wird sich hoffentlich auch ein vernünftiger deutscher Gastwirtssohn gefunden haben, der, mit genügenden Mitteln versehen, auf die schlaue Idee verfällt, in Peking ein erstklassiges Hotel zu errichten. Die gesamte Kolonie Pekings wird ihm dankbar sein, gewiss wird er sich in höchstens zehn Jahren als "gemachter Mann" nach Deutschland zurückbegeben. Auch bei den verschiedenen Gesandtschaften kommen so viel von "oben" empfohlene Rund-um-die-Erde-Gigerln mit großen Titeln und wenig Mitteln an, die sich während ihres Aufenthaltes auf Grund der Empfehlungsbriefe allerhöchster Persönlichkeiten in den Gesandtschaftshotels einschmeicheln - es sollen sogar Fälle vorkommen, wo Mitglieder des Gesandtschaftspersonals ihre Wohnung an Reisepilze edlen Geschlechtes abtreten müssen-, dass die Erbauung eines 50-100 Zimmer enthaltenden, anständig geführten Hotels den Vertretern des diplomatischen Körpers ohne Ausnahme ebenfalls recht willkommen sein würde. So wird ein Unternehmer auf allseitige Unterstützung rechnen können. Den Plan zu einem solchen guten Hotel findet er in Tientsin, wo ein Deutscher, Namens Ritter aus Wiesbaden, ein Hotel errichtet hat, das dem deutschen Namen Ehre und dem Besitzer innerhalb weniger Jahre Wohlhabenheit gebracht hat. 

Meine Reise nach Peking hatte gar keinen globe trotting-Zweck. Weder bin ich auf der großen chinesischen Mauer gewesen, noch habe ich die gegen Trinkgeld zu besichtigenden alten Tempel und Grabdenkmäler, wovon man die Photographien in Berlin kaufen kann, besucht. Interessiert hätten mich allerdings die kaiserlichen Tempel, Gärten und der Kaiserpalast, das heißt die eigentliche Kaiserstadt. Doch findet da der Fremde nur verschlossene Türen, ja es werden von Jahr zu Jahr der Tempel und Denkmäler, die der Fremde besuchen darf, immer weniger, weil so viele Fremde, die Peking besuchen, an einer, wie es scheint, unheilbaren Krankheit, au chronischer Kleptomanie, leiden. Dieselbe "highly respectable" ganz ohne Herrenbegleitung reisende amerikanische Schweineschmalzmillionärstochter, die von dem "Paul und Virginie" zum Andenken im botanischen Garten von Pamplemousse auf der Insel Mauritius errichteten Grabdenkmal einen Stein losbröckelt, stiehlt auch in Peking einen gelben Dachziegel oder einen grün emaillierten Mauerstein von den kaiserlichen Gebäuden; in ihrer Sucht nach gelben, das heißt kaiserlichen Ziegeln sind wahnwitzige Jünglinge, wenn unten bereits alles losgebröckelt war, an den Wänden hinaufgeklettert, lediglich um einen kaiserlichen Backstein in ihrem Koffer mitschleppen zu können. Dies der Grund, weshalb das, was für den Fremden noch Interesse haben könnte, jetzt verschlossen bleibt. 

Da die Barmaid, auf deutsch die Büfettdame oder Kassiererin des Mont Austin-Hotels in Hongkong sich meiner angenommen und mir, trotzdem im Hotel alles besetzt war, noch ein Zimmer verschafft hatte, wollte ich mich beim Verlassen des Hotels als Galantuomo zeigen und fragte sie, nachdem meine Rechnung quittiert war: "What can I do for you?" - ,,Ach," antwortete sie mir, "ich habe nur einen Wunsch seit langen Jahren, und gerade den können Sie mir, da Sie ja doch nach Peking gehen, erfüllen. Bringen Sie mir einen gelben Ziegel von der Mauer des kaiserlichen Palastes mit. Ich verlasse mich auf Sie und rechne fest darauf, den Ziegelstein zu erhalten." Ich murmelte so etwas wie "Haben Sie sonst noch Schmerzen" in mich hinein, dachte bei dem Ziegelstein an Keilschrift und auch daran, was daraus entstehen könnte, wenn jeder Helgolandbesucher sich vor dem Verlassen des "Grünen Landes" ein Stückchen Helgoland in die Tasche stecken wollte. Etwas gelogen habe ich damals auf dem Peak in Hongkong doch, als ich antwortete: "Ich werde mein Bestes versuchen". 

Am 29. November 1896 erhielt ich den Pass, dessen Original und Wortlaut ich hier folgen lasse:

Von der Präfektur Peking ausgestellter Reisepass.

,,Seine Excellenz der Kaiserlich deutsche Gesandte, Herr Freiherr von Heyking, hat uns mitgeteilt, der deutsche Gelehrte Eugen Wolf beabsichtige jetzt, im Innern Chinas, und zwar in den vier Provinzen Schen-Si, Hu-Nan, Yünnan und Turkestan (Neues Gebiet) zwecks wissenschaftlicher Untersuchungen zu reisen. Der Genannte sei ein berühmter Gelehrter Deutschlands, welcher seit langer Zeit weit herumgereist sei und die gefährlichsten Punkte mit Leichtigkeit überwunden habe. Seine diesmalige Reise habe lediglich einen wissenschaftlichen Charakter. Der Herr Gesandte bäten daher um Ausstellung eines Passes für den deutschen Gelehrten Eugen Wolf zu seiner Reise in den vier Provinzen Schen-Si, Hu-Nan, Yünnan und Turkestan, damit das von ihm mitgeführte Gepäck, sowie seine wissenschaftlichen Instrumente seitens der Lokalbehörden nicht mit Zoll belegt oder sonst wie angehalten würden. Daraufhin ist dieser Schutzpass ausgestellt und, mit dem Siege] der Präfektur Shuntien fu (Peking) versehen , ausgefolgt worden, damit ihn der deutsche Gelehrte Eugen Wolf an sich nehme und bei sich führe. Die Lokalbeamten längs des von dem Reisenden berührten Weges haben ihn gegen Vorzeigung dieses Passes frei passieren zu lassen und ihm den vertragsmäßigen Schutz angedeihen zu lassen, sie dürfen ihn in keiner Weise belästigen oder aufhalten. Hierdurch soll dem Wunsche Ausdruck gegeben werden, die zwischen China und Deutschland bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen. So geschehen und ausgefertigt für den deutschen Gelehrten Eugen Wolf in Peking am 25. Tage des 10. Monats Kuang Shü (29. November 1896). Über dem Datum Siegel der Präfektur Shuntien fu (Peking) Bemerkung unten links in rot: ,Dieser Pass ist nach Beendigung der Reise behufs Kassierung zurückzugeben. Im. Falle der Reisende diesen Pass verliert, wird der letztere ungültig.' Für die Übersetzung: Emil Krebs."