Meyers
Konversations-Lexikon, 1875
Die Nahrung der Chinesen ist sehr mannigfaltig, der gewöhnliche Mann isst so ziemlich alles, was genießbar ist. Man isst dreimal des Tags, um 8, 12 und 5 Uhr; zur Zeit der Reispflanzung vier- bis fünfmal; Ärmere lassen es bei nur zwei Mahlzeiten, 10 und 5 Uhr, bewenden. Im mittlern und südlichen China genießt der Arbeiter in den niederen fischreichen Gegenden fast täglich Fische und ein- bis viermal im Monat Schweinefleisch, dazu Reis; morgens nimmt er Tee, zur Hauptmahlzeit Reisbranntwein. Rindfleisch wird stark genossen in der Umgegend von Kanton, Hühner und besonders Enten überall. Im nordischen China sind Hirse, Mais, Weizen, Rind- und Schöpsenfleisch Hauptnahrungsmittel.
Die Fleischspeisen sind schmackhaft zubereitet, beliebt sind besonders Schinken. Es besteht übrigens ein Vorurteil gegen Fleischnahrung; man hält das Fleischessen für zu sinnlich und insbesondere das Rindfleischessen für undankbar gegen die guten Dienste, welche Büffel und Ochsen in der Landwirtschaft leisten; Fleisch der Schweine und des Geflügels wird deshalb vorgezogen. Reis und Gemüse bilden bei vielen die Hauptgerichte. Eine Spezialität sind der Erbsenkäse (nach St. Julien und p. Champion in »Industries anciennes et modernes de l'Empire Chinois« beschrieben im »Ausland« 1871, S. 80) und die Fadennudeln aus Weizenmehl. Mehl wird wenig konsumiert.
Die Gerichte der Reichen sind gewählter und vorzüglich zubereitet; die übertriebenen, anekdotenhaften Berichte vom chinesischen Essen und Trinken werden teilweise schon durch die nötig gewordene neue Auflage einer Darstellung der europäischen Kochkunst in chinesischer Sprache widerlegt (»Foreign cookery in Chinese«, Schanghai 1864).
Über den Teegenuss äußert sich v. Richthofen (in Petermanns »Geographischen Mitteilungen« 1872) dahin, dass der Teekonsum zwar enorm sei, dass der ärmere Mann ihn jedoch als Luxus betrachte und sich mit Aufguss über Blätter von anderen Pflanzen, Artemisia- und Ribesarten, die wild auf ihren Feldern wachsen, und selbst mit heißem Wasser allein begnüge. Dies ist sogar in Teedistrikten zu beobachten, und v. Richthofen ist der Ansicht, dass der Gebrauch des Tees durch die Schädlichkeit des Wassers hervorgerufen worden sei, da meist kein anderes Trinkwasser vorhanden ist als solches, das über Reisfelder gelaufen ist. Teehäuser sind an den Landstraßen vielfach ans Mildtätigkeit erbaut; ein meist altes Weib reicht den Reisenden unentgeltlich Tee.
Die Gasthäuser sind billig, aber widerlich schmutzig.
Abweichend von allen übrigen Asiaten, genießt der Chinese seine Mahlzeit auf einem Stuhl sitzend; statt einer Gabel bedient er sich zwei feiner Stöckchen von Bambus oder Elfenbein, mit denen er aus den suppenartig zubereiteten Gerichten alle festen Stücke geschickt herauszufischen versteht.
Aus Reis und Hirse wird ein Getränk destilliert, eine Art Branntwein, der in
allen Schichten der Bevölkerung beliebt ist und warm in kleinen Tassen gereicht
wird, um die Stelle des Weins zu vertreten. Trunksucht ist im Allgemeinen kein
Laster der Chinesen; dagegen herrscht das verderbliche Opiumrauchen unter allen
Klassen, trotz der ernstlichen Gegenanstrengungen der Regierung; nach
Liebermanns gründlichen Untersuchungen (»Les fumeurs d'opium en Chine««,
Paris 1860) wirkt der Opiumgenuss nicht verderblicher, sondern nur langsamer als
Absinth). Auch Tabakrauchen und Schnupfen ist verbreitet, aber der chinesische
Tabak ist schlecht. ![]()