Richard Wilhelm (Die Seele Chinas, 1926)
Die Mission nimmt in
China eine sehr umstrittene Stellung ein. Die meisten der unbeteiligten Fremden
in China sind überzeugt, dass die Mission nur schadet, dass nur Heuchler und
Geldgierige sich von den fremden Missionen anlocken lassen, dass die Mission
ihren Anhängern nur ihre alte Kultur raube und ihnen keine neue dafür gebe,
dass daher alle christlichen Hausdiener frech und unbrauchbar seien und die
Arbeit der Mission vergebliches Liebesmühen sei. Die Missionare auf der anderen
Seite sind stets bereit gewesen, dies alles zu bestreiten, sie bestritten jenen
Angreifern zudem das Recht, die Mission, die höhere Zwecke habe, nur als
Vorbereitungsanstalt für fremde Diener und Kindermädchen anzusehen. Die
Weltreisenden, die über China Werke schreiben, sind in dieser Beziehung übel
daran. Je nach der Gesellschaft, in die sie zuerst kommen, werden sich ihre
Urteile bilden;
denn es ist ja
unmöglich, in ein paar Wochen oder Monaten sich ein selbständiges Urteil zu
bilden.
Da die Missionare
außer den Beamten fast die einzigen Fremden waren, die chinesisch sprachen, und
zum mindesten mit einem Teil der chinesischen Bevölkerung in näheren
Beziehungen standen, so brach sich über die Mission allmählich eine neue
Auffassung Bahn. Man sah in ihr vielfach ein Mittel, Kulturpropaganda zu
treiben. Besonders in Amerika hat man diese Seite der Sache schon sehr früh
erkannt und hat reiche Mittel für die Mission flüssig gemacht. Auch die
amerikanischen Großindustriellen und Großkaufleute haben sich vielfach sehr
lebhaft für die Mission interessiert und haben durch Vermittlung einzelner
Missionare in China auch direkte Geschäftsverbindungen angeknüpft, wiewohl es
auf der anderen Seite ungerecht wäre, wollte man die Bedeutung der
Das Problem der Mission
in China ist ein sehr komplexes. Die Mission hat seit den ältesten Zeiten in
allen Ländern, in die sie kam, ein doppeltes Gesicht gehabt:
ein religiöses und ein kulturelles. Wenn der Apostel Paulus den Entschluss
fasste, von Asien nach Europa überzusetzen, um den Griechen und Römern zu
helfen, brachte er ihnen keinerlei Kulturanregungen. Es ist vielmehr
wahrscheinlich, dass er für die griechischrömische Kultur in ihren tiefsten
Beziehungen keinen Sinn hatte. Was ihm in Athen auffällt, ist nur der
Aberglaube der Leute, und mit Mühe sucht er am Altar des unbekannten Gottes
einen Anknüpfungspunkt für seine Botschaft. Was er bringt, ist rein religiös:
Die Kunde von dem Christus-Gott, der der Geist ist, der seiner Gläubigen Herzen
erfüllen will, das Erleben Gottes als innerliches menschliches Erleben
gegenüber der ethnischen Religion, die Gott irgendwo außerhalb sucht. Diese
Religion ging dann mit den griechischen Erlösungsmysterien, mit den
kleinasiatischen und ägyptischen Heilandslehren, mit römischer Organisation
und griechischer Philosophie einen Bund ein und wurde zur christlichen Kirche.
Als diese christliche Kirche nach Germanien kam, da trat sie auf im Vollbesitz
kultureller Überlegenheit, sie drängte die germanische Kultur zugleich mit
ihren Göttern in den Hintergrund und siegte durch ihre zivilisatorische und
geistig-wissenschaftliche Überlegenheit. Ganz ebenso wie die Mission in Afrika
noch heute auftritt.
In China trat die
Mission nicht einer schwächeren oder weniger entwickelten Kultur gegenüber,
aber sie beschränkte sich auch nicht wie die urchristliche Mission auf das rein
religiöse Gebiet unter selbstverständlicher Voraussetzung eines gemeinsamen
Kulturbesitzes;
sondern es entspann sich ein doppelter Kampf: einmal versuchte man, den
chinesischen »Götzen« gegenüber den wahren Gott zu verkündigen. Man suchte
die armen in Sünden verlorenen Seelen zu retten aus dem
Eine weitere
Schwierigkeit der religiösen Auseinandersetzung erwuchs daraus, dass die
Missionare namentlich in früheren Zeiten das Disputieren und Widerlegen
heidnischer Irrtümer für eine
Hauptaufgabe hielten. So wurden denn mühsam an Konfuzius allerlei Fehler und
Sünden und Unvollkommenheiten aufgesucht. Man wollte ihn und seine Lehren
ebenso wie die anderen Religionen Chinas diskreditieren. Das Fundament der
chinesischen Ethik, die Kindesehrfurcht, wurde angetastet. Das Höchste, was man
in China an Pflichten kannte, die Verehrung der Ahnen, wurde als Götzendienst
gebrandmarkt. Nicht alle Missionare haben in dieser Richtung gewirkt;
aber es lässt sich nicht leugnen, dass namentlich in den ersten Zeiten der
evangelischen Mission von Missionaren, die zu Hause in ihrer Heimat oft eine
recht niedrige gesellschaftliche Stellung eingenommen hatten, diese Art der Missionspredigt sehr eifrig
gepflegt wurde. Je geringer die eigene Bildungshöhe war, desto unbefangener und
naiver war die Verachtung aller »heidnischen« Gebräuche.
Es ist kein Wunder,
dass durch diese Missionsmethoden viele Konflikte erwuchsen. Der gebildete Teil
der chinesischen Bevölkerung empfand diese Predigten als Anmaßung: die
Missionare als Gäste auf chinesischem Boden scheuten sich nicht, das Heiligste
und Höchste, was der Volksseele teuer war, ohne provoziert worden zu sein, in
den Staub zu ziehen. Alles, was höchste Weisheit und Güte der Heiligen der
alten Zeit mühsam aufgebaut, sollte mutwillig vernichtet werden. Das war man
nicht gewillt zu dulden. Manche Christenverfolgungen sind aus diesem Grund
entstanden.
Mancher fromme
Missionar hatte in der Einfältigkeit seines Herzens keine Ahnung, wie er der
Macht des Evangeliums selbst in den Weg trat, wenn er z. B. auf dem Klappenhorn
blasend für chinesische Ohren abscheuliche Musik machte, um die Besucher eines
Marktes anzulocken, und ihnen dann in seiner Predigt Rettung anbot, nachdem er
alles, was seit Jahrtausenden heilig war, verdammt hatte. Ich erinnere mich
noch, wie überrascht ein Missionar war über die satanische Verstockung der
Chinesen, als er auf einem Markt, wo er das Klappenhorn in dieser Weise blies,
erst Gelächter und Scherzreden zu hören hatte, denen dann noch einzelne
Steinwürfe zu folgen drohten, vor denen er mitsamt seinem Klappenhorn über eine
Mauer flüchten musste, um die Christenverfolgung nicht, wie er befürchtete,
mit seinem Blutvergießen enden zu sehen. Oder was mussten die Chinesen z. B.
denken, als eine einzelstehende Missionarin, die im Lauf einiger Wochen kaum ein
paar Worte Chinesisch gelernt hatte, auf ihre erste Missionsreise ins Innere
ging, allen Männern, denen sie begegnete, auf die Schulter klopfte und sagte:
»Gott liebt dich, ich liebe dich auch«. Nur der beispiellosen Wohlerzogenheit
der Chinesen, der Reizlosigkeit der Sprecherin und dem verborgenen Schutz, unter
dem ein einfältig reines Gemüt steht, war es zu verdanken, dass ihr keine
Unannehmlichkeiten widerfuhren. Gerad die wohlmeinenden, begeisterten,
einzelstehenden Mission Schwestern, die sich dann freilich, soweit sie
einigermaßen jugendlich sind, sehr bald auf dem Missionsfeld mit jüngeren
Brüdern zu verheiraten pflegen, sind bei all ihrem guten Willen und wertvollen
Liebesdiensten, die sie mit rührender Hingebung leisten, soweit ihnen der Takt
fehlt, eine schwere Belastung des Missionsbetriebs in China. Denn es
widerspricht dem chinesischen Volksempfinden, dass ein einzelstehendes junges
Mädchen öffentlich predigend auftritt. Wo dagegen gebildete junge Damen ihre
Wirksamkeit auf die Frauen- und Mädchenwelt beschränken, haben sie stets viel
Dankbarkeit und Anhänglichkeit erfahren.
Ein weiteres
Missionshemmnis in China ist der große Abstand, der in der Christenheit
zwischen Theorie und Praxis klafft. Ein chinesischer Christ erzählt aus seinem
Leben eine Geschichte, wie er zum erstenmal mit dem Christentum in Berührung
gekommen sei. Ein Missionar habe auf einem Markt vor einer großen Volksmenge
über die Gebote der Nächstenliebe gepredigt, dass man die andere Wange
hinhalten solle, wenn man einen Schlag auf die eine erhalte, dass man einem auch
den Rock lassen solle, wenn einer den Mantel nehme, und dergleichen mehr. Das
erinnerte ganz an alte chinesische Heilige, von denen ein Meister zu seinem
Schüler sagte:
»Was tust du, wenn einer dir ins Gesicht spuckt?« Der Schüler erwiderte:
»Ich wische es einfach ab.« Der Meister sprach: »Auch das ist noch nicht
genug, denn auch dadurch könntest du weiterhin seinen Zorn vermehren, statt ihn
zu besiegen. Lass es trocknen und kümmere dich nicht darum.«
Der Mann wollte nun
sehen, ob es dem Missionar wirklich ernst mit seiner Lehre sei. Er trat auf ihn
zu und nahm ihm kurz entschlossen den kleinen Tisch weg, den er vor sich stehen
hatte. Da sei aber der vorher so sanfte Missionar böse geworden. Während er
vorher einen salbungsvollen Ton gehabt, habe er jetzt plötzlich eine ganz
natürliche, fast schreiende Stimme bekommen, habe das Tischchen an den Beinen gepackt
und sei
Der Mann ist später
doch Christ geworden. Aber daraus folgt nicht, dass solche Dinge nicht schaden.
So hat der Völkerhass, der sich während des Weltkriegs und danach gerade auch
unter den Vertretern des Christentums gezeigt hatte, ungemein stark nicht nur
die Neigung, sondern auch die Achtung für die christlichen Völker und ihre
Vertreter herabgesetzt.
Denn es war doch so, dass nicht nur englische, sondern
selbst amerikanische Missionare, die damals noch nicht in den Krieg gegen
Deutschland eingetreten waren, die Predigt des Evangeliums aufgaben und statt
dessen Kulis anwarben für die Schlachtfelder in Westeuropa. Der »Culi-trade«
(Menschenhandel), wie die Sache ganz offen in der Mission genannt wurde, galt
auch bei den übrigen Missionaren durchaus nicht als irgendwie belastend. Er
brachte den Beteiligten gute Einnahmen und schien ein gutes Werk zu sein. Selbst
als einzelne chinesische Mütter die Seelen ihrer Söhne von den Missionaren
zurückforderten, die sie unter Vorspiegelung falscher
Tatsachen
Doch sehen wir von
solchen Auswüchsen ab, da es doch zu allen Zeiten unter allen Nationen auch
Missionare gegeben hat, die ihrer Überzeugung entsprechend liebevoll und fromm
lebten und wirkten. Freilich finden wir solche Idealgestalten in den früheren
Zeiten der Mission häufiger. Damals war die Missionsarbeit noch nicht so sehr
mechanisiert wie später. Die Persönlichkeit galt mehr als das System. Da sind
unter den deutschen Missionaren Persönlichkeiten wie D. Faber, der die ganze
chinesische Literatur durcharbeitete, um eine wirklich gründliche
Auseinandersetzung zwischen der chinesischen und der christlichen Weltanschauung
zu ermöglichen, wie der Basler Missionar Lechler, der in praktischer
Liebesarbeit unter den Hakkas in der Kantonprovinz durch ihre Ansiedlung in
Hongkong ganz neue Wege für die Entwicklung dieses Platzes eröffnete, und
viele andere, deren Nennung zu weit führen würde. Von der katholischen
Mission, ihren Methoden und Erfolgen wird weiter unten die Rede sein.
Auch unter den
englischen und amerikanischen Missionaren habe ich manche tüchtige Menschen zu
guten Freunden gewonnen. Unter den englischen Baptisten fanden sich
Persönlichkeiten wie Dr. Jones, der vollkommen den Chinesen ein Chinese
geworden war, wie das Ehepaar Couling, von denen jeder in seiner Art eine
lebendige und freie Kraft bedeutete, die aber bezeichnenderweise
von der Mission abgestoßen wurden, weil
Durch diese inneren
Schwierigkeiten sind auch die ungezählten Millionen, die namentlich von Amerika
her in die Universität gesteckt worden sind, doch nicht so recht zur Wirkung
gekommen. Man kann überhaupt sagen, wenn die Amerikaner so reich an
Verständnis für das chinesische Wesen wären wie an Geldmitteln, würde China
vollkommen amerikanisiert worden sein. Aber es fehlt in diesem Stück gar
manches. Wohl ließen sie jeden Diener, den sie engagieren wollten, auf dem Sofa
Platz nehmen, aber auf der anderen Seite lebten die Missionare oft in ihren
recht komfortabel ausgestatteten Häusern ohne eigentliche Fühlung mit ihren
Christen. Ich erinnere mich einer großen, christlichen Versammlung in einer
Stadt im Innern. Man hatte eine Anzahl von Vorträgen angehört, dann wurde die
Versammlung geschlossen mit der Bemerkung, dass man abends getrennte
Gebetsversammlungen veranstalten wolle, die einheimischen Christen in der
Kapelle, die fremden Missionare im Haus des Präsidenten. Die Abendgesellschaft
fand in großer Toilette statt und war sehr heiter:
Pfänderspiele wechselten mit der Erzählung lustiger Geschichten, es fehlte
nicht an jenem zarten Liebesspiel, durch das die ledigen Damen der Mission sich
jüngere Missionare als Gatten zu gewinnen pflegten. Man war lustig und lachte.
Die Gesellschaft war ausgelassen, doch war man weit von einer Orgie entfernt.
Aber als einer der jüngeren Herren sagte: »Es ist nur gut, dass die Chinesen
drüben nicht sehen können, wie wir beten«, da stieg die Heiterkeit auf ihren
Gipfel.
In derselben Mission
kam es übrigens vor, dass in einer Gebetsversammlung ausländische und
einheimische Christen gemeinsam für die Bekehrung eines älteren,
wissenschaftlich
und religiös sehr
hochstehenden Missionars beteten, der an dem Laster litt, dass er zuweilen eine
Pfeife rauchte und auch bei besonderen Anlässen ein wenig Wein für seinen
Magen nahm. Das aber galt für schwere sittliche Gefährdung, wie denn in der
ganzen Missionspraxis die beiden Gebote: »Du sollst nicht rauchen« und »Du
sollst nicht Alkohol trinken« an die Stelle des früheren zehnten Gebotes
getreten sind. Das geht so weit, dass man beim Abendmahl, das früher mit
chinesischem Reiswein gefeiert wurde, jetzt amerikanischen Traubensaft
verwendet. Überhaupt wird die christliche Moral viel mehr in einzelnen
kasuistisch bestimmten Handlungen und Unterlassungen gesehen, als in einer
großen und starken Gesinnung. So ist z. B. die Vielweiberei ein Grund dafür,
dass man nach den Begriffen vieler Missionare der ewigen Seligkeit verlustig
geht. Wenn also ein alter Mann in patriarchalischer Weise neben seiner Frau eine
oder zwei Dienerinnen hat, die ihm Kinder geboren haben und die mit den übrigen
Familienmitgliedern in bestem Einvernehmen stehen, so muss entweder die
Familienharmonie zerrissen werden, indem die Mutter der Kinder ihren Eltern
zurückgeschickt wird und dort in Schmach und Schande ihr Leben zu Ende führen
muss, oder muss der Mann dauernd gewärtig sein, der ewigen Seligkeit verlustig
zu gehen, wenn er sich nicht etwa rasch vor seinem Tod noch eine Nottaufe geben
lassen kann. Was freilich die Erzväter Abraham und Jakob machen, die doch in
derselben Lage waren, ist namentlich deshalb sehr schwer zu sagen, weil das Alte
Testament gerade für die Presbyterianer als Gotteswort unbedingt gilt.
Ebenso ist es den
Chinesen nur sehr schwer klar zu machen, warum man auf die Gräber der Ahnen
zwar Kränze legen darf, aber keinen Weihrauch dabei anzünden, warum die schwarze Trauerfarbe Gott
wohlgefälliger ist als der farblose Sack, den die früheren Geschlechter
getragen, warum das Reich Gottes eine Demokratie ist, wenn doch Christus
herrschen wird - und jedem Durchschnittsamerikaner gilt es ja als Axiom, dass
allein die Demokratie eine Gott wohlgefällige Staatsform ist - kurzum, warum die westlichen Sitten unbedingt ein
Bestandteil der Religion sein sollen.
Ein weiteres, sehr
schweres Missionsproblem ist es, dass man vielfach Zivilisation und Religion
vermengt hat. Die Religion hat es letzten Endes nur zu tun mit dem Verhältnis
der Seele zu Gott und in zweiter Linie mit dem Verhältnis des Menschen zu
seinen Nächsten. Sie hat aber nichts zu schaffen mit Macht und Reichtum, mit
Bildung und Besitz, mit Maschinen und Erfindungen. Die Mission hat aber, nachdem
die rein religiöse Verkündigung sich nicht als so wirkungsvoll erwiesen hat,
wie man erwartet hatte, es nicht vermieden »Fleisch zu ihrem Arm zu machen«,
d. h. alle diese Dinge mit in den Kreis ihrer Tätigkeit einzubeziehen. Es wurde
als Beweis für die Wahrheit des Christentums verkündet, dass die christlichen
Staaten, je christlicher sie seien, desto zivilisierter, mächtiger und reicher
seien. Man predigte über das vorzügliche Schulwesen in Europa, über die
treffliche Polizei, die Stärke des Landheeres und der Flotten, die
Idiotenhäuser und Irrenanstalten, die Reinlichkeit der Straßen, das
elektrische Licht und die Maschinen. Kurz, man malte ein paradiesisches Bild der
westlichen Verhältnisse als Folge des Christentums. Über
die Wohnungsnot und die Großstadtspelunken, das Arbeiterelend und die
Gemütsverarmung sprach man in diesem Zusammenhang nicht.
Das alles geschah zum
größten Teil im besten Glauben. Man war ganz naiv seiner eigenen
Überlegenheit so sicher, dass man auf Schritt und Tritt die
Erlösungsbedürftigkeit der armen Heiden erkannte, wenn man sie in ihren
ärmlichen Verhältnissen nicht nur nicht unzufrieden, sondern gar voll inneren
Friedens sah, wenn man die kleinen Kinder in der Sommerhitze nackt oder mit
roten Bauchschürzen sich auf der Straße tummeln sah. Das alles war
hauptsächlich vor dem Weltkrieg, der in seinem schreienden Widerspruch zu dem
früheren Kulturflötengetön eher ein Hemmnis für die Mission bedeutete.
Trotzdem berief ein Missionar der alten Schule auch nach dem Krieg noch eine
Versammlung ein mit dem Thema:
»Welche Religion ist
am besten geeignet, einen Staat reich und mächtig zu machen?«
Er musste sich dabei freilich sagen lassen:
»Als unser verehrter Meister Mengzi
einst zu dem König Hui von Liang kam, fragte
ihn dieser:
da Euch tausend Meilen nicht zu weit gewesen sind, um an meinen Hof zu kommen,
so habt Ihr sicher einen Rat, der meinem Staate nützen kann. Mengzi aber erwiderte:
Nicht also, o König!
Wer auf Nutzen aus ist, verdirbt den Staat. Trachtet am ersten nach Liebe und
Pflicht, so wird Euch der Nutzen von selber zufallen. Nun sind Sie, Herr
Missionar, viele tausend Meilen weit hergekommen, um unserem Reich Ratschläge
zu Macht und Reichtum darzubieten. Ist das nicht gerade das Gegenteil von dem,
was Mengzi tat, als er vor den König Hui von Liang trat?«
Wenn die
Verschiedenheit der kulturellen Umgebungen dem Missionar, je naiver er war,
desto mehr ein überhebliches Selbstbewusstsein den Chinesen gegenüber gab, so
war er auf der anderen Seite vielfach die Ursache von übel wollenden
Verleumdungen der chinesischen Kultur in Europa. Solange die hochgebildeten
jesuitischen Missionare in Peking lebten und sich mit der chinesischen
Philosophie beschäftigten, stand China in Europa zum beiderseitigen Vorteil im
besten Ruf.
Seit aber die Mission auf ein niedrigeres Niveau sank und seit andere Fremde
nach China kamen, mit anderen Zwecken, kam China auf einmal in schlechte
Beleuchtung. Es wurden Lügen verbreitet, dass die Chinesen Regenwürmer und
faule Eier äßen, dass sie von unmenschlicher Grausamkeit seien, dass sie die
neugeborenen Mädchen schlachten. Man suchte nach Sonderbarkeiten in ihren
Sitten: der Zopf, der früher höchstwahrscheinlich von China nach Europa
eingeführt wurde, galt als Zeichen
der Rückständigkeit. Dass die Frauen ihre Füße schnürten statt der Hüften,
galt als entsetzliche Perversität. Dass Missernten und Hungersnöte vorkamen,
galt als mangelnde Staatsweisheit. Das Fehlen der Chirurgie galt als schwere
Rückständigkeit. Kurz, alles was anders war, war schlecht. Es gibt wohl außer
den Deutschen kaum ein Volk in der Welt, das
Fragen wir nun nach den
Erfolgen der Missionstätigkeit. Sie sind verschieden, je nach den
Persönlichkeiten und den von ihnen angewandten Methoden. Es ist klar, dass,
wenn ein noch so wohlmeinender Mann von beschränktem Gesichtskreis in ein
hochkultiviertes Land wie China kommt und damit beginnt, die ganze
jahrtausendealte Kultur in Frage zu stellen und als Teufelswerk zu bezeichnen,
er keinen Anhang unter den geistig hochstehenden Schichten finden wird. So waren
es denn zunächst meist Menschen, die innerhalb des chinesischen
Kulturzusammenhangs zu den Ausgestoßenen gehörten, die sich der Mission
anschlössen. Die Mission bot finanzielle Vorteile, sie gewährte freie
Verpflegung und Unterricht an ihre Zöglinge, oft bekamen die Eltern sogar noch
eine Entschädigung, wenn sie ihre Kinder in die Missionsanstalten schickten.
Auf diese Weise lassen
sich überall Proselyten machen! Man kaufte kleine Mädchen auf, die von
heruntergekommenen Eltern verstoßen waren. Man richtete Findelhäuser ein, in
denen die kleinen Mädchen ernährt, gekleidet, erzogen und verheiratet wurden,
und bald wurden diese Findelhäuser zu einem beliebten Versorgungsmittel für
die Mädchen mittelloser Eltern. Als Prediger und Evangelisten fanden Gelehrte
oft zweifelhafter Güte eine wenn auch recht dürftig bezahlte Anstellung. —
Diese »Lehrer« bekamen m der Regel geringere Gehälter als ein Koch oder eine
Kinderfrau. - Ferner mischte sich die Mission - oft im besten Glauben - in die
Prozessangelegenheiten ihrer Konvertiten ein. Diese wussten oft als
Christenverfolgungen hinzustellen, was in
Wirklichkeit Erpressungsversuche auf ihrer Seite waren. Der Missionar aber
benutzte in der Unkenntnis des Tatbestandes seine Stellung als Fremder, hinter
dem die Macht der fremden Kanonenboote stand, um die Lokalbeamten zu zwingen,
gegen ihr
besseres Wissen dem christlichen Teil recht zu geben. Das alles wirkte anziehend
auf zweifelhafte Elemente in der Bevölkerung.
Bekannt ist, wie die
Gewalttätigkeit des Bischofs Anzer mit ein Anlass wurde zu der sogenannten
Boxerbewegung. Sein Nachfolger, Bischof Henninghaus, eine
feine und friedliebende Persönlichkeit von echt christlichem Charakter,
genießt allgemeine Hochachtung unter den Chinesen, mit denen er in Berührung
kommt.
Unmittelbar nach dem
Zusammenbruch der Boxerbewegung wurde die Sache noch schlimmer. Ein schwedischer
Baptistenmissionar, früherer Zimmermaler und Matrose, der m einer
Seemannskneipe bekehrt worden war, ging umher wie ein brüllender Löwe. Er
sammelte Gelder bei allen reichen Leuten der Gegend, die ihm irgendwie als der
Begünstigung des Boxertums verdächtig bekannt waren. Weigerten sie sich zu
bezahlen, so drohte er mit Denunziation. Auch nahm er alle anrüchigen Prozesse
auf und focht sie vor dem Ortsvorsteher durch. Dadurch kam die schwedische
Baptistenmission, die
Aber nicht nur solche
Abenteurer haben oft großes Unrecht an der chinesischen Bevölkerung getan. Ich
war Zeuge folgenden Vorfalls. Ein wirklich christlich und vornehm denkender
amerikanischer Missionar erzählte mir von einer Christenverfolgung in einem
Dorf, das auch mir bekannt war. Ich kannte den Kreisbeamten und erwähnte ihm
gegenüber den Fall. Er hatte schon alles genau untersucht, und die Akten waren
abgeschlossen. Es handelte sich um den Versuch einiger Ortsangehöriger, ein
öffentliches Grundstück privatim mit Beschlag zu belegen, und als sie dabei
auf Widerstand trafen, wandten sie sich an die Mission, wurden Christen und
suchten den Missionar für den Fall zu interessieren, den sie als einen Raub der
nichtchristlichen Bevölkerung darstellten. Der Beamte erklärte sich bereit,
dem Missionar Einblick in die Akten zu gewähren. Als ich meinem Freunde diesen
Tatbestand mitteilte, war er sehr enttäuscht. Er verhehlte mir nicht, dass er
mich für betrogen hielt, und glaubte fest an die Unschuld seiner Christen.
Immerhin ließ er sich bewegen, die Sache noch einmal an Ort und Stelle zu
untersuchen. Er kam zurück und war empört. »Jeden einzelnen von meinen
Christen möchte ich ohrfeigen«, sagte er, »sie
haben mich alle hintergangen«.
- Das war ein Fall, in dem ein besonders wohlgesinnter Missionar durch ein
Zusammentreffen besonders günstiger Umstände aufgeklärt wurde. Wie viele
Fälle mögen vorgekommen sein, wo das nicht der Fall war?
Ich selbst wurde einmal
im Innern gefragt, wie viel der Eintritt in die evangelische Kirche koste. Als
ich den Mann erstaunt fragte, was er meine, sagte er, er sei in Verlegenheit,
weil er einen Prozess hängen habe, und müsse in eine Kirche eintreten;
er sei sich aber noch nicht klar, ob er in die Jesu jiao (evangelische Kirche)
oder die Tianzhu jiao (Himmelsherrn-Kirche - katholische Kirche) oder die Tielujiao
(Eisenbahn Kirche) eintreten wolle. Er werde wohl die Eisenbahnkirche vorziehen,
sie sei zwar etwas teurer als die anderen, aber auf der anderen Seite gehe sie
auch viel rücksichtsloser vor (damals wurde in Shandong
die Eisenbahn von Qingdao nach Jinanfu gebaut). Das zeigt die Gesinnung jener
Kreise.
Natürlich kam auf
diese Weise weder das chinesische Volk noch die Mission zur Ruhe. Es war ein
Circulus vitiosus. Der Missionar bedrängte den Beamten zugunsten seiner
Christen und drohte mit Kanonenbooten oder sonstigen diplomatischen Eingriffen.
Der Beamte gab nach und drückte auf die Bevölkerung, dass die Christen recht
behielten. Die Bevölkerung endlich brach, wenn sich die Misshandlungen gehäuft
hatten, in irgendeinem lokalen Aufstand los, brannte die Missionsstationen
nieder und schlug wohl auch einen Missionar tot. Dann griffen die fremden
Mächte ein, entsandten Kanonenboote, führten Sanktionen durch - die Besetzung
Qingdaos war z. B. eine solche Sanktion -, und die Dinge begannen wieder von
Gewiss waren nicht
immer die Christen die allein Schuldigen. Aber das ganze System war zu
verurteilen. Der Apostel Paulus wurde geprügelt, eingesperrt, gesteinigt, ohne
dass irgendeine Macht ihn gerächt hätte. Aber indem die Mission weltlichen
Schutz verlangte und oft mehr davon erhielt, als sie verlangt hatte, kam die
ganze Frage in falsches Fahrwasser. Wenn man noch dazu bedenkt, dass die
Missionare infolge einer Fälschung des Zhifu-Abkommens
zwischen Frankreich und China, die nachher von allen übrigen Mächten ebenfalls
als zu Recht bestehend für ihre Staatangehörigen beansprucht wurde, das Recht
erlangt hatten, überall in China sich niederzulassen, Eigentum zu erwerben und
ihre Tätigkeit zu entfalten, so versteht man noch besser den tiefgehenden
Unwillen des chinesischen Volkes gegen die Mission, der sich gegenwärtig in den
antireligiösen Demonstrationen Luft macht.
Besonders gefährlich
wurde die Lage, als um die Wende des Jahrhunderts der Amerikaner Mott auf den abstrusen
Gedanken kam, dass die Welt im Lauf dieser Generation evangelisiert werden
müsse. In der chinesischen Mission der Amerikaner und Engländer wirkte dieser
Gedanke ansteckend. Die Jahrhundertfeier evangelischer Mission stand bevor. Man
wollte sie damit begehen, dass die Zahl der fremden Missionare verdoppelt
würde. Gebetsversammlungen drängten einander. Man'
verbreitete die Parole, dass ein junger Mann zu Hause sich nicht mehr
fragen dürfe, ob er einen Beruf zur Mission habe, sondern ob er einen triftigen
Grund habe, in der Heimat bleiben zu
dürfen. Der liebe Gott wurde mit Massenversammlungen förmlich bedroht,
diese Verdoppelung des Missionsstabs durchzuführen. Er hat es nicht getan. Als
die Jahrhundertfeier
herankam, war trotz all der fanatischen Gebetsorgien die Zahl
der Missionare weit davon entfernt, sich verdoppelt zu haben.
Nun aber kam die große Lüge. Man hätte sich darüber besinnen müssen,
warum Gott diese Gebete nicht erhörte, und vielleicht
hätte die so erworbene Erkenntnis zur Vernunft geführt. Aber
weit gefehlt!
Man ließ die Frage einfach fallen, und obgleich
man sozusagen den ganzen Glauben von der Gewährung der
Bitte abhängig gemacht hatte, tat man jetzt gar nicht mehr, als
ob je so etwas versucht worden wäre. Natürlich fuhr man fort,)
weiterhin in Zahlenrausch und Organisation zu schwelgen, und die
Statistik hat nirgends verwüstender auf die heimischen Kreise gewirkt als in
der Mission. Was da alles unter dem Titel
»Christ« mitgeführt wurde, geht wirklich sehr weit. Und es
kamen durch diesen Massenbetrieb eine Menge von ungeeigneten Elementen
als Missionare nach China, denen der heilige Ernst der früheren Generationen
vollkommen fehlte, die die Mission
und die häufig damit verbundene kaufmännische Agentur als ein Geschäft
ansahen wie andere mehr und die ihre Zeit mit Versammlungen, Ferienaufenthalten
und Komiteesitzungen verbrachten. Auf einer Konferenz wurde einmal zur
allgemeinen Erheiterung festgestellt, dass ein Missionar, der
gewissenhaft alle derartigen Versammlungen mitmachen wollte, höchstens
noch einen Monat für seine eigentliche Missionstätigkeit Zeit habe. So war es
denn kein Wunder, dass ein großer Teil der Missionare bei Ausbruch des Krieges
zu Agenten des Kulihandels wurde.
Dass die deutsche
Mission schon aus Geldmangel sich an diesem Treiben nicht beteiligte, sei
ausdrücklich hervorgehoben. Ebenso darf man nicht vergessen, dass außer diesem
ungeeigneten Menschenmaterial zu allen Zeiten auch gebildete und edle Menschen
in der Arbeit standen. Besonders hervorzuheben ist in dieser Hinsicht die
Tätigkeit der verschiedenen amerikanischen, englischen und schwedischen
Universitätsmissionen. Hier wurde in freiem und verständnisvollem Geist
wertvolle, christliche Unterrichts- und Erziehungsarbeit geleistet, wie denn
überhaupt namentlich seit der Revolution in China, die das Christentum zur
vollberechtigten Religion machte, die Missstände der Kanonenbootpolitik
zurücktraten und an die Stelle einer mechanischen Predigertätigkeit immer mehr
eine intelligente Schultätigkeit trat, die durch Hospitaltätigkeit
unterstützt und ergänzt wurde.
Ebenso wäre es ein
Unrecht, wenn man von den chinesischen Christen behaupten wollte, dass nur
minderwertige Elemente aus unsachlichen Motiven sich dem Christentum zugewandt
haben. Im Gegenteil, es finden sich unter den Christen auch eine große Zahl von
tief religiös veranlagten Persönlichkeiten, die sich
der Lehre Christi anschlössen und sie zu verwirklichen suchen in ihrem Leben:
Angehörige früherer Geheimsekten, die nach Erlangung des ewigen Lebens
suchten, mündeten in die christliche Kirche ein. Junge, westlich gebildete
Leute nahmen mit der westlichen Kultur zusammen auch die Religion an, die ihre
Grundlage bildet. So findet sich heute in China eine einheimische christliche
Gemeinschaft, die im öffentlichen Leben eine bedeutende Rolle spielt, der nicht
nur Sun Yat Sen und Feng Yuxiang, sondern auch andere bedeutende Führer
Jung-Chinas angehören. Aber ähnlich wie Sundar Singh in Indien zwar Christ
ist, aber sich über den europäischen Abfall
Hand in Hand mit der
Verselbständigung gegenüber den fremden Missionsgesellschaften geht ein
engerer Anschluss an die Volksgenossen. Die chinesische Kirche ist heute nicht
mehr eine Körperschaft, die dem chinesischen Volk in seiner Mehrheit fremd und
feindlich gegenüber steht, sondern sie beteiligt sich aktiv und produktiv am
allgemeinen Leben. Ebenso schließen sich Christen gegenseitig aneinander an.
Das Christentum wurde nach China gebracht in einer Unzahl von verschiedenen
Sekten und Denominationen, die sich untereinander bekämpften und verketzerten.
Was sind unter den Missionaren für Kämpfe geführt worden über die richtige
Übersetzung des Ausdrucks »Gott«, über verschiedene kirchliche Sitten und
Gebräuche!
Die Wut, die die Kämpfer
beseelte und entzweite, stand in nichts hinter der heimischen Rabbis Theologorum
zurück. Aber diese Differenzen interessierten die Chinesen weniger. Man sah auf
das Gemeinsame, man duldete gegenseitig das Besondere;
manches Trennende, das in Europa als historische East mitgeschleppt wird,
verflüchtigte sich:
so kam man zu einer einheitlichen chinesischen Kirche, die über die
Unterschiede der Missionare kühn hinweg geht. Auch zwischen Protestanten und
Katholiken überwindet das Gefühl der Gemeinsamkeit christlichen Glaubens die
trennenden Momente. -
Im bisherigen wurde
versucht, möglichst objektiv die Tatsachen
der Missionstätigkeit, soweit sie für mich Erlebnis geworden sind, zur
Darstellung zu bringen, wobei nach der Lage der Dinge vorwiegend die
evangelische Mission sich in meinem Gesichtskreise befand. Es erübrigt nun noch
die Frage nach der Berechtigung der Mission und ihre Beurteilung vom letzten
kulturgeschichtlichen Standpunkt aus.
Die Mission ist eine
Erscheinung, die in der modernen Zeit die Bedeutung hat, die im Mittelalter den
Kreuzzügen zukam. Die Kreuzzüge wurden unternommen in der Überzeugung: »Gott
will es!«
Wir stehen heute der Frage anders gegenüber als die begeisterten Kreuzfahrer
des Mittelalters. Aber wir verstehen die Kreuzzüge als eine historische
Tatsache, als ein Überschäumen des expansiven Dranges einer aufsteigenden
Kultur. Wir wissen, dass ihre Folgen ganz andere wurden, als beabsichtigt war.
Das heilige Eand wurde nicht christlicher Dauerbesitz, der Islam wurde nicht
vernichtet, das türkische Weltreich nicht zerstört. Insofern waren also die
Kreuzzüge nicht gottgewollt. Aber dennoch hatten sie
bedeutende Wirkungen. Das Hochkommen der Gotik, dieser höchsten und reifsten
Leistung der mittelalterlichen Kultur wäre nicht möglich gewesen, ohne die
Befruchtung westlichen Geistes durch die Auseinandersetzung mit dem Orient,
durch die Erlebnisse neuer Eindrücke fernen Weltendrangs. Auch auf den Islam
wurde ein mächtiger Einfluss ausgeübt. So sehen wir in den Kreuzzügen eine
historische Notwendigkeit, entsprungen aus dem tiefen Unterbewusstsein der
mittelalterlich europäischen Seele, die eine neue Befruchtung brauchte, um das
Höchste zu gebären, dessen sie fähig war.
Genau so verhält es
sich mit der Mission. Auch die Mission wurde unternommen in der Überzeugung:
»Gott will es!«
Aber wie die Kreuzzüge in Palästina, so kam auch die Mission in
China an einen toten Punkt, insofern, als nicht anzunehmen ist,
dass China jemals als Ganzes einer christlichen Kirche angehören wird. Die
kirchliche Ausprägung der Lehre Jesu hat eben nur eine beschränkte Stoßkraft.
Es gibt andere Formen
Wie bei den Kreuzzügen
floss auch durch die Mission ungewollt eine Menge wertvoller Kulturanregungen
nach Europa zurück, wenigstens solange die Mission von geistvollen Menschen
betrieben wurde. Die jesuitischen Väter, die zur Zeit des Barocks nach China
kamen, waren zum größten Teil Männer großen Formats. Sie wirkten nicht durch
die Menge, sondern durch
die Qualität der Persönlichkeit. Ihre Namen sind heute noch in China alle
bekannt. Sie brachten nicht nur Missionspredigten, sondern die Höhe
europäischer Wissenschaft in Mathematik und Astronomie. Sie haben den
chinesischen Kalender wieder in Ordnung gebracht, und die astronomische Theorie
von Tycho de Brahe,
die sie verbreiteten, ist in China für lange Zeit die Grundlage der
astronomischen Berechnungen und Anschauungen geblieben. Sie brachten die
Früchte europäischer Kunst und Technik. Sie bauten dem Kaiser Schlösser,
malten ihm Bilder, gössen ihm Kanonen, ließen seine Taten in Kupferstichen
verewigen, kurz, brachten die damalige Kulturform Europas nach China, eine Menge
von chinesischen Persönlichkeiten reichten ihnen die Hand, und China empfing
wertvolle Anregungen auf kulturellem Gebiet. Schon war der letzte Kaiser der
Mingdynastie Christ geworden, schon war auch der Kaiser der Mandschus,
der unter der Devise Kangxi regierte, dem Christentum sehr günstig gesinnt.
Wenig fehlte, dass China katholisch geworden wäre. Auch Europa wurde von der
chinesischen Kultur beeinflusst. Das ausgehende Barock, das Rokoko, die
Aufklärung ist nicht nur durch chinesische Kunstmotive in der Architektur und
im Gartenbau, in der Kleinkunst (Porzellan) und Zimmerausstattung, sondern auch
in Philosophie und Moral von China stark beeinflusst. Die Jesuiten machten große Teile der chinesischen
Literatur durch Übersetzungen zugänglich. Kein geringerer als Leibniz sah die
ungeheuren Möglichkeiten, die sich aus einer gegenseitigen Befruchtung Chinas
und Europas ergeben würden. Die Physiokraten, die Begründer der
Volkswirtschaftslehre, entnahmen ihre wesentlichen Gedanken den Anregungen, die
von China herüberkamen. Es war ein reiches Leben, das aus dieser Berührung
zweier verschiedenartiger, aber gleichwertiger Kulturen sich zu entwickeln
begann.
Die Bewegung wurde
damals unterbrochen. Die Jesuiten wurden in ihrer Tätigkeit gestört durch
andere Orden, die ihnen folgten und die ihren Weitblick nicht hatten.
Streitigkeiten über die Bezeichnung Gottes, über die Bedeutung des
Ahnendienstes, über die Methoden der Bekehrung entstanden. Europa mischte sich
ein. Die chinesischen Herrscher wandten sich ab. Eine Christenverfolgung
entstand, die das ganze Werk vernichtete.
Nun kamen andere
Zeiten. Nicht mehr Weisheit und Religion, Kultur und Wissenschaft waren die
Schätze, die Europa brachte und mitnahm in fruchtbarem Austausch, sondern man
suchte Geld und brachte Waren. Es kam die Zeit des Opiumkriegs, durch den man
China gegen seinen Willen europäische Waren aufzwang. Auf den englischen
Opiumschiffen sind dann auch die ersten protestantischen Missionare nach China
gekommen. Nun folgen lange Jahrzehnte gegenseitiger, traurigster
Missverständnisse. Statt des weiten und freien Geistes der Jesuitenväter kam
ein gewaltsamer, enger Geist der materiellen Expansion und kirchlichen
Bekehrungseifers. Europa kämpfte mit Kanonen. China suchte sich verzweifelt
abzuschließen, aufs tiefste gekränkt durch die rücksichtslose Verletzung
alles dessen, was durch die Jahrtausende heilig gewesen war. Schritt für
Schritt wurde es durch brutale Gewalt zum Nachgeben gezwungen, auch dazu
gezwungen, der Mission immer wieder neue Konzessionen zu machen. So entstand die
chinesische Fremdenfeindlichkeit und Ablehnung dessen, was die Eindringlinge als
Weltanschauung brachten; denn nach chinesischer Auffassung konnte eine Religion,
die solche Früchte der Vergewaltigung zeitigte, unmöglich gut sein. So
entstand auch das verzerrte Bild von dem erstarrten, unbeweglichen, Regenwürmer
essenden China, das eine Mischung von grotesker Albernheit und perverser
Grausamkeit darstellt. An diesem Bild hat die Mission getreulich mitgearbeitet.
Die Gründe wurden oben schon gezeigt.
Man muss sich wundern,
wie unproduktiv die spätere Mission auf dem Gebiete der Kulturübertragung
lange war im Vergleich mit den reichen Wirkungen der alten, katholischen Zeit.
Das hängt wohl zum großen Teil mit dem geringeren Bildungsstand der Missionare
zusammen, die Kulturwerte gar nicht sahen, wenn sie nicht die gewohnten
äußeren Formen zeigten. Es hing ferner damit zusammen, dass die von außen
eingedrungenen Missionare zunächst nur mit ungebildeten Teilen des chinesischen
Volkes in Berührung kamen, während die mit Ehren empfangenen jesuitischen
Väter am Kaiserhof die denkbar beste Gesellschaft von Gelehrten und Künstlern
fanden.
Aber wo zwei Kulturen
aufeinanderstoßen, da lässt sich auf die Dauer eine geistige
Auseinandersetzung nicht vermeiden. Diese Auseinandersetzung hat heute begonnen.
Die chinesische Geschichte zeigt in ihrer Entwicklung stets das Bild, dass die
in sich ruhende, hochstehende chinesische Kulturwelt von umliegenden Barbaren
oder eindringenden Missionaren gestört, beeinflusst und zu neuer Blüte
angeregt wurde. Solche Kulturehen, wenn der Ausdruck erlaubt ist, waren stets
der Grund für Neugeburt innerhalb des chinesischen Geistes, der dann die
Eindringlinge assimilierte und sich angliederte. So ist die alte Kultur der
Zhou-Zeit zurückzuführen auf das Einbrechen patriarchalischer Weststämme in
das Gebiet noch vorwiegend patriarchalischen Chinesentums. Diese Verbindung
schuf die Grundlagen für alle späteren Zeiten und fand ihre Ausprägung im
Konfuzianismus und Taoismus. Die Auseinandersetzung der nordchinesischen Kultur am Huanghe mit der
südlichen autochthonen
Kultur am Yangtse schuf eine neue, unerhörte Blüte im fünften bis dritten
vorchristlichen Jahrhundert. Dann kam der Buddhismus, der lange Zeit die besten
Köpfe beschäftigte, bis er assimiliert war und die Feinheit und Schönheit der
Tang und Sungzeit als Endergebnis zeitigte. Der Mongoleneinbruch schuf die
Mingkultur;
die jesuitische Anregung verbunden mit der des Nordstamms der Mandschus, der die
Herrschaft errungen hatte, wurde verarbeitet zu der in Europa leider noch viel
zu wenig bekannten Kultur der letzten drei Jahrhunderte in China, die ganz
deutliche und selbständige Züge zeigt und keineswegs eine bloße Erstarrungs-
und Verfallserscheinung ist, wie das m europäischen Lehrbüchern bis
zum Überdruss einer gänzlichen Abwesenheit von Sachkenntnis immer wiederholt
wird.
Nun kommt die
Auseinandersetzung zwischen Orient und Okzident. Diese Auseinandersetzung ist
vielleicht die letzte und wichtigste, die die Weltgeschichte bisher geboten hat,
eine Synthese nicht nur zweier polar entgegengesetzter Kulturräume, sondern
vielleicht auch zweier Menschheitszeiten. Was diese Auseinandersetzung für den
Osten und für den Westen bringen wird, können wir zur Zeit noch nicht
übersehen. Aber dass es etwas ganz Großes werden wird, ergibt sich schon aus
der Spannweite der Gegensätze, die durch die Synthese in Ergänzungen
umgewandelt werden sollen.