13. Mai 1898

Prittwitz kam mit der beunruhigenden Nachricht, dass aus Shanghai die Warnung gekommen sei, es bestände ein Komplott gegen den Prinzen, das in Peking von Kantonesen ausgeführt werden sollte.

Während des ganzen Vormittags kamen Anfragen von den andern Gesandtschaften.

Um 11 Uhr gingen all unsre Herren fort in Sänften an die Bahn. Auf den Stufen, die zum Hause hinaufführen, waren alle Diener aufgestellt in ihren schönen hellblauen Seidenröcken, darüber gelbe Atlasjacken mit unserm Wappen gestickt; auf dem Kopf die Mandarinenhüte, zu denen ihnen für diese Gelegenheit auch wirklich von der chinesischen Regierung die Mandarinenwürde mit weißem Knopf verliehen worden ist.

Vor dem Haus in der staubigen, stinkenden Straße hatte sich eine zahllose Menge Chinesen in Lumpen aller Art versammelt, und im Hotel Tallien saßen alle Europäer Pekings bis auf das Dach hinauf.

Eine sogenannte Wache chinesischer Soldaten hat ihre blauen Zelte vor der Gesandtschaft aufgeschlagen und daneben war chinesisches Feuerwerk aufgebaut, mit dem die Ankunft gefeiert werden soll.

Endlich kam ein reitender Bote, der Zug sei am äußeren Tor; bald darauf traf in einer Sänfte Dr. Franke ein und reitend Dr. Velde; beide so verstaubt, dass man sie nicht erkennen konnte. Dann, nach wenigen Minuten, öffneten sich die Tore, ein furchtbares Geknatter von Feuerwerk begann und eine Sänfte mit gelben Riemen erschien, getragen von Kulis, auf deren Uniformen ich den schwarzen Adler hatte sticken lassen. Von beiden Seiten marschierten Reihen deutscher Soldaten, die sich unserm Haus gegenüber aufstellten. Als die Sänfte niedergestellt war, stieg S. K. H. Prinz Heinrich aus, reichte mir die Hand und sagte, dass er sich meiner von früher her erinnere.

Mittlerweile waren in Sänften und reitend Edmund, das Gefolge und eine Unmasse Chinesen in den Hof gekommen. Der Prinz trat ins Haus und stellte mir seine Herren vor. Dann zeigten wir ihm seine Zimmer und die Besuche der Chinesen begannen; voran der alte Prinz Ching, den ich noch nie gesehen, und der es offenbar gut meinte, da er mir auf europäisch vehement die Hand schüttelte, d. h. er ergriff zu diesem Zweck meinen Daumen.

Sehr wohltuend war es zu sehen, wie ganz de haut en bas unser Prinz die Chinesen behandelte. Natürlich blieb es bei den gewohnten Redensarten, „der Staub sei sehr arg gewesen", „S. K. H. bedürfe wohl der Ruhe", worauf er zu Dr. Franke sagte: „Ja, es war' mir allerdings der größte Gefallen, wenn man mich in Ruhe ließe. Sagen Sie ihm das höflich auf chinesisch." (Daneben stand Yin chang, der so gut deutsch kann wie wir!)

Der Prinz ist groß und schlank und hat auffallend schöne dunkel­graublaue Augen mit einem sehr festen und dabei doch lieben Blick. Die Nase und ganze Gesichtsbildung erinnern sehr an den Kaiser Friedrich. Er ist echt seemännisch wettergebräunt und würde überall auffallen als besonders sympathisch und vornehm aussehend.

Er war offenbar sehr starr über den ersten Eindruck von Peking, dessen Staub und Schmutz und abschreckende Hässlichkeit ja stets die kühnsten Erwartungen übertreffen.

Edmund, den ich nur sekundenweise sprechen konnte, erzählte mir, der Prinz habe ihn ganz reizend freundlich empfangen und sich aufs eingehendste mit ihm unterhalten. Er erzählte, dass S. M. ganz allein an Kiautschou festgehalten hätte, Hohenlohe sei ganz dagegen gewesen, Bülow abwesend in Rom und das ganze Auswärtige Amt in Schrecken vor Russland.

Der Prinz klagte ganz wie wir über jeglichen Mangel an Information und schimpfte über das Auswärtige Amt, speziell über Holstein.

Um 8 Uhr war Diner mit der ganzen Gesandtschaft und dem ganzen Gefolge. Der Prinz ließ seine Kapelle spielen, was eine große Freude war. Zum erstenmal seit langer Zeit wieder gute Musik!

Der Prinz saß neben mir, und wir kamen bald auf ernstere Themata. Ich nahm die Gelegenheit wahr und erzählte ihm von diesem Winter; wie schwer es alles für Edmund gewesen, ohne Instruktionen, oft ohne Nachricht über die nötigsten Dinge, und dann wieder Befehle, die so überflüssig waren, wie die Auszahlung der Pachtsumme, die Edmund dem Deutschen Reich reineweg gespart hat. Ich erzählte ihm auch, wieviel leichter es gewesen wäre, wenn man Edmund von Anfang an alles gesagt hätte, was man wollte, anstatt, nachdem Kiautschou bereits abgetreten, dann mit den Nachforderungen zu kommen. Ich sagte ihm, mit welcher Begeisterung wir hier an die Arbeit gegangen sind, und wie Holstein gegen uns arbeitet und hindert.

Der Prinz schien das Auswärtige Amt gründlich zu kennen, und speziell auch Holstein. Er sagte, es sei kläglich gewesen, wie das Auswärtige Amt sich habe einschüchtern lassen. Murawjew habe sein scharfes Telegramm nur abgeschickt, um zu sehen, ob das Auswärtige Amt Nerven habe oder nicht. S. M. allein sei standhaft geblieben und habe gesagt, er hätte das Telegramm des russischen Kaisers in Händen, und darauf fuße er.

Der Prinz sagte, S. M. hätte das zweite Telegramm an Diederichs erst dann abgeschickt, als er sicher gewesen, dass es zu spät ankommen müsse und dass die Besetzung bereits erfolgt sei. Es ist ganz leicht, mit dem Prinzen harmlos und einfach zu sprechen, man fühlt sich nie geniert.

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