25. September 1897

All die Tage sehr viel geschrieben, um die neuen Bestimmungen über die Kinder zu treffen, welche durch Onkels Tod nötig werden. Viel Sorge, viel Kummer und viel Bitternis gegen diese neue Ungerechtigkeit, dass wir als letzte Flemmings von den ganzen Flemmingschen Gütern auch nicht das kleinste Eckchen haben werden. Mit einem Federstrich hätte uns der Onkel von all unsern Sorgen erlösen können, wir hätten jetzt ein festes Zuhause und könnten uns die dienstlichen Kränkungen und Schwierigkeiten so viel gleichmütiger ansehen.

Es grämt mich so schrecklich, zu sehen, wie Edmund sich hier abmüht und abarbeitet, und es doch zu gar nichts führt, weil man in Berlin ja doch alles laufen lässt. Dazu das Übelwollen Holsteins, welches wir in so vielen Dingen merken. Mich dauert es um Edmund, der zu gescheit und zu schade ist für die Rolle, die man ihn hier spielen lässt. Und ich frage mich oft, ob die Leute, die so fleißig und scharfblickend wie er sind, in Deutschland so herumwimmeln, that one can afford, ihn hier so verkümmern zu lassen!

Nachmittags besuchte uns Sir Claude, und wir begleiteten ihn ein Stück Wegs zurück; das erste Mal seit Wochen, dass ich wieder ein Stückchen gegangen bin. Wir saßen zwischen Steinen auf dem sonnverbrannten Gras und sahen auf die weite, blaue Ebene vor uns.

Es könnte hier alles ganz gut sein, mit der Einsamkeit und ändern Übelständen sind wir ja alt genug uns abzufinden, wenn es nur nicht eine so schrecklich deprimierende Rolle wäre, die wir dienstlich hier spielen müssen. Wir sind jetzt über ein Jahr hier und Edmund arbeitet unausgesetzt, aber das Auswärtige Amt hängt wie Blei an ihm. Ich fragte mich, wie schon so oft, ob denn das Ende all unsres Strebens, unsrer Arbeit, unsrer Opferwilligkeit ein Leben sein soll, welches den cachet de la mediocrité trägt? Einerseits Geldsorgen, quälende Gedanken über die Zukunft der Kinder, gänzliche homelessness, andrerseits dienstliche Kränkungen, fortwährendes Schieben an einem Stein, der nicht rollen will, wissen, was Deutschland hier Not täte, aber es nicht ausrichten dürfen, sich immer wieder stoßen an kleinen gemeinen Seelen, die aber eine unterirdische Macht besitzen; dazu eine gänzlich aufgeriebene, zerrüttete Gesundheit und täglich mehr zunehmende Schwermut. O Gott, hilf uns!

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