14. März 1897

Ich habe eine Woche mit Kranksein und in tiefster moralischer Depression zugebracht. So vieles hier würde anders werden, wenn man es nur den Kaiser wissen lassen könnte. Aber wie? Edmunds Berichte, die dem Auswärtigen Amt unbequem sein und die Inaktion und Ängstlichkeit dort klarlegen könnten, werden S. M. ja nie vorgelegt werden.

Es war ein milder, grauer Tag, und Grünau und ich benutzten ihn, um eine Ausfahrt zu machen in einer Siberienne, einem zweiräderigen Karren, auf welchem ein freier, federnder Holzsitz angebracht ist und in welchem man nicht so sehr wie in den Pekinger Karren geschüttelt wird. Wir fuhren an der langen, hohen Mauer der Tatarenstadt ent­lang, wo ein leidlicher Sandweg ist, so dass unser Pferdchen ordentlich traben konnte, und wo man wenig Menschen, nur abschreckenden Bettlern und langen Kamelzügen, begegnet. Gegen den grauen Himmel nahm sich die hohe, gelbliche Mauer gut aus und ihre hohen Türme mit glänzenden grünen Kacheldächern. Neben dem breiten Sandweg zieht sich ein moderner Kanal hin, und auf seinem jenseitigen Ufer stehen zwischen entlaubten Bäumen die grauen, kleinen Häuschen der Chinesenstadt. An der Mauer treiben sich Scharen fetter, schwarzer Schweine herum, die in den Unrathaufen wühlen. Sehr malerisch ist der Ausgang der Chinesenstadt mit den doppelten grauen Toren, durch die man in die enge Straße sieht mit ihrem Gewirr von Menschen, seltsamen Aushängeschildern und zottigen Kamelen. Dann geht es über eine Art Zugbrücke hinaus, und zum erstenmal seit dem ersten Oktober befinde ich mich wieder außerhalb der verpesteten Stadt Peking.

Ein ganzer Zug brauner, zottiger Kamele mit Lasten beladen steht da, die von weit, weit hergekommen sind, und man hat plötzlich die Empfindung, selbst auch weit, o wie weit weg zu sein von allem bisher Bekannten und Gewohnten.

Wir fuhren durch allerhand holperige Landwege, auf denen unsre Siberienne manchmal ganz seitwärts lag, auch durch etliche Sümpfe mussten wir, und dann wieder an Kamelherden uns vorbeidrängen, die nicht ausweichen wollten trotz des Schreiens unsrer Mafus. Das ganze Land ist noch graugelb und die Bäume kahl, nur die dunklen Flecken der Nadelhölzer beleben das Bild, und im Hintergrund zieht sich die blassblaue ferne Bergkette.

An einem Brückchen verließen wir den Wagen und gingen zu Fuß nach einem Tempel, den wir eventuell mieten wollen. Das ganze China scheint ein weites Grab, und in allen Abhängen, die die Wege einfassen, sieht man kleine und große Stücke menschlicher Gebeine aus dem Boden herausragen. Wir besahen ein altes Grab inmitten einer stillen kieferbewachsenen Fläche, und dann besuchten wir eine Pagode. Ein hoher, massiver Turm, an dessen unterem Teil allerhand Götzen angebracht sind. Darüber erheben sich 9 oder 10 Dächer, die alle mit Glöckchen besetzt sind. Der Wind spielt in diesen kleinen Glöckchen, und ihr leises Klingeln über all den umliegenden Trümmern in der kahlen, grauen Welt war unbeschreiblich trübselig. Verfallene Stufen führen hinauf und allerhand Steinornamente und große Marmortafeln liegen herum. Hübsch war eine weiße Marmorschildkröte mit der hohen Stele auf dem Rücken, die sich, von der Sonne einen Augenblick hell beschienen, scharf abhob von dem blaugrauen verschwommenen Hintergrund. Ein erhalten gebliebenes Sinnbild der Unsterblichkeit, von Trümmern und Zeichen des Vergänglichen umgeben.

Durch die tiefliegende Dorfstraße, deren spitzgewölbtes Tor etwas seltsam Mittelalterliches hat, gingen wir nun zu unserem Tempel, der klein aber recht hübsch ist, besonders durch die vier Türmchen an den Ecken seiner Umfassungsmauer, die auch wieder recht mittelalterlich ins Land hinausschauen.

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