18. August 1896

Edmund machte seine Antrittsvisite im Tsungli Yamen *). Der Weg dahin soll wie alle Pekinger Wege und das Haus dingy und shabby sein.

Prinz Kung empfing Edmund und geleitete ihn in das Empfangszimmer, wo sieben alte Chinesen um einen Tisch saßen, von denen Edmund meint, sie hätten alle wie abschreckende stiere Larven ausgesehen, und der Begriff, mit ihnen ernsthafte Geschäfte zu besprechen, erschien ihm nach dieser Entrevue wie die reine Sinnlosigkeit. Die Stimme der Macht, aber auch nur diese, verstehen sie.

Prinz Kung scheint der leitende Mann in diesem Konsortium zu sein, er ist aber dem Opium und Harem ergeben und überlässt viel dem Jung lu, der früher in Washington gewesen, und der der zivilisierteste of the whole lot zu sein scheint.

Dieser frug auch Edmund, ob er seine Frau mitgebracht habe, und da es gegen chinesisches Decorum verstößt, davon offen zu reden, frug er Edmund, „ob er sein kostbares Bündel" mitgebracht habe!

Im übrigen drehte sich die Unterhaltung um Edmunds Namen, der „Meeresstille" auf chinesisch bedeutet; es soll aber, wie Prinz Kung herausfand, ein Zeichen darin sein, welches „Streit" heißt, und der Prinz meinte, dass es eine schlimme Vorbedeutung habe. Im übrigen soll der Name auch noch irgendwie bedeuten, dass Edmund viel Wein vertragen könne — der Zusammenhang ist allerdings nur für einen Chinesen fassbar. Im Tsungli Yamen wird, wie in allen hiesigen Behörden, die Oberaufsicht von Mandschus geführt, die eigentliche Arbeit aber von Chinesen verrichtet.

Der frühere Erzieher des Kaisers sitzt auch darin, und er hat, wie die übrigen Minister, nachts um drei beim Schein einer einzigen Kerze seinen Vortrag bei dem Kaiser, und zwar in kniender Stellung. Es soll dies so angreifend sein, und in der Dunkelheit soll die Gefahr des Stürzens so groß sein, dass jeder Minister ein paar Palasteunuchen besticht, um ihn währenddem zu stützen. Diese Vorträge beim Kaiser, der wie ein Idol dasitzt, sollen den Eindruck schauerlich mysteriöser Kulthandlungen machen. Ed­mund kam schimpfend von dort zurück. Dies alles gesehen zu haben, ist aber doch interessant, wenn es nur nicht zu lange dauert.

Nachmittags kam eine Depesche des Auswärtigen Amts, ob Edmund glaube, dass bis zum Frühjahr die Flottenstationsfrage gelöst sein würde, da die Admiralität wünsche, dann die „Prinzess Wilhelm" und die „Irene" nach Deutschland zurückkommen zu lassen. Edmund war höchst perplex, denn wie soll er die Chinesen jetzt plötzlich um eine Flottenstation angehen, ohne equivalents anbieten zu können. Wie soll er wissen, ob bis zum Frühling die Sache gemacht werden kann, und schließlich, warum sollen dann die Schiffe weg, die ja dann gerade doppelt nötig waren?

Wir dinierten bei Monsieur Gérard und begaben uns zu Fuß dahin durch die staubige Pekinger Straße in dekolletiertem Kleid und Diamanten mit zwei Vorläufern, welche riesenhafte Laternen trugen: „Hier kommt der große Mann des deutschen Kaisers." Jedenfalls war es nicht banal!

Die französische Gesandtschaft hat sehr große und schöne Räume; ehe man an das eigentliche Haus herankommt, geht man durch eine riesige chinesische Tempelhalle, die recht schön ist.

Wir trafen dort Cassini mit seinem sehr netten ersten Sekretär Pawlow, den spanischen Gesandten Cologan mit seinem greisen Sekretär und Mr. et Mme. Vissiere.

Ich unterhielt mich sehr gut mit Gerard, den ich ja früher gekannt, als er noch bei der alten Kaiserin in Baden-Baden war. Er sprach mit Enthusiasmus von unserm jetzigen Kaiser, was mich amüsierte, da ich weiß, dass S. M. ihm die Autorschaft der „Société de Berlin" nie verziehen hat.

 

*) „Tsungli Yamen, ein Collegium, dessen einzige Funktion darin besieht, mit den fremden Gesandten zu verhandeln." Edmund von Heyking an seinen Vater.

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