14. August 1896

Durch Hunderte von Booten hindurch kamen wir morgens ganz früh in Tungchau an. Während die Vorbereitungen für unsre Weiterreise getroffen wurden, hatte ich mal wieder sehr die Empfindung des Episodenhaften im Leben, und ich musste daran denken, wie wir in Kairo angekommen und abgereist sind, und alles so schnell vergeht. Vielleicht ist unsre Zeit hier schneller um, wie wir denken; aber wir werden wohl die letzten deutschen Gesandten gewesen sein, die per Boot und Sänfte nach Peking kommen, denn in einem Jahr soll ja die Bahn von Tientsin nach Peking fertig sein.

Als sich die Verwirrung ob unseres Gepäcktransportes etwas geklärt hatte, bestiegen Edmund, Elise und ich unsre Sänften, Grünau seinen Schimmel, die Hofräte zwei Eselchen. So setzte sich unser Zug in Bewegung.

Zuerst passierten wir Tungchau, und um durch die entsetzliche Stadt hindurchzukommen, brauchten wir eine Stunde. Wir kamen durch so enge Gässchen, dass die Tragstühle beinah auf beiden Seiten die Häuser streiften, und die Träger versanken im Kot bis an die Waden. Jeder denkbare Schmutz und Abfall liegt auf den Straßen, und darin wälzen sich schwarze Schweine und jeder nur mögliche Gestank steigt zum Himmel. Offene Körbe mit menschlichem Dünger werden durch die Straßen auf die Felder getragen und verpesten die Luft. Menschen, deren Zahllosigkeit immer wieder erstaunt, füllen die Straßen und die offenen Läden und starren die Europäer mit verblüffender Neugierde an.

Ich dachte mit Sehnsucht an unsre letzten Tage im Hausboot zurück, welches dem europäischen Bedürfnis nach Exklusivität doch etwas Rechnung trägt.

Als wir durch Tungchau hindurch waren, kamen wir auf die große Steinstraße, die nach Peking führt und die einstmals eine großartige Anlage gewesen sein muss. Jetzt sieht sie aus, als habe eben ein furchtbares Erdbeben gewütet. Ganze Quadern fehlen und an ihrer Stelle sind fußtiefe Löcher entstanden; an ändern Orten sieht es wieder aus, als hätten unterirdische Mächte die Erdoberfläche so aufgerüttelt, dass einzelne Quadern auf die ändern gerutscht sind und dadurch unerwartete Berge entstanden; kein Stein sitzt mehr fest am ändern, es ist nur eine Frage, wie tief die Löcher dazwischen sind.

Auf dieser Straße begegneten wir Reihen von einrädrigen Schubkarren, auf denen hier die größten Lasten fortbewegt werden. Das Rad befindet sich in der Mitte, und auf beiden Seiten werden Kisten, Säcke, Balken oder was es sonst ist, befestigt; ein Mann schiebt den Karren, und es muss ein Kunststück sein, ihn durch diese Löcher und über diese Höcker hinwegzubalancieren. Ich dachte mit Grauen daran, dass unsere Sachen auch so transportiert werden müssen.

Außer diesen Schubkarren begegneten wir einer Menge bedeckter Pekingkarren, in denen man hier reist und Besuche macht. Ein federnloser Kasten, in welchem der Unglückliche kauern muss und dank dem Zustand der Wege von einer Seite zur ändern geworfen wird, wobei man sich Beulen und Kontusionen holt. Die einzige andre Alternative ist, auf der Deichsel zu balancieren. Diese sehr massiven Karren haben zwei zackige Räder, welche allein den Wegen widerstehen, andrerseits aber auch die Wege stets von neuem ruinieren — sie sind das einzige Fuhrwerk, welches es in und um Peking gibt. Fußtief sahen wir die Räder solcher Karren in Löchern versinken und dann mit Gepolter und Gekrach auf den nächsten Stein springen, kein andres Gefährt hielte das aus.

Wir passierten die Palikao-Brücke und machten auf halbem Wege Rast in einem buddhistischen Kloster, wo wir Tee tranken und mit Sehnsucht der japanischen Tempel gedachten. Endlich näherten wir uns Peking.

Wir kamen nun durch einen besonders schmutzigen und stinkenden Teil der Straße und sahen die große Mauer, welche die Stadt umgibt, und auf der sich von Zeit zu Zeit hohe Türme befinden, deren Dächer mit bunten Kacheln bedeckt sind. Durch einen dieser Türme führte das Tor, durch welches wir unsern Einzug in Peking und zwar in die Tatarenstadt hielten.

Wider Erwarten ist diese Stadt wie ein weites leeres Dorf von elenden grauen Häuschen und Hütten; der Weg, wenn von solchem überhaupt gesprochen werden kann, ist noch chaotischer als vorher; bald versinkt man im Kot, bald geht es über große Steinhaufen. Dazwischen sind weite leere Plätze voll stagnierenden Wassers. Der erste Anblick ist so schauerlich hässlich, dass man das Ganze für ein Fieberbild und Alpdrücken hält.

Endlich, 5 Stunden nachdem wir Tungchau verlassen, bogen wir in die Straße der Gesandtschaften ein, neben welcher die schmutzigste litauische Dorfgasse ein Paradies ist. Zwischen den chinesischen Hütten erheben sich Mauern, hinter denen die verschiedenen Gesandtschaften in umfriedeten Grundstücken liegen.

Die unsrige hat ein rotes Tor, durch welches wir passierten und uns dann in einer Allee befanden, auf deren einer Seite die Sekretär- und Dolmetscher-Häuser liegen, auf der ändern das Gesandtenhaus.

Herr und Frau von Prittwitz empfingen uns, und diese beiden sehr liebenswürdigen Menschen waren das einzig Erfreuliche bei der ganzen Ankunft, denn unser Haus ist so verwohnt, finster und bis ins Detail scheußlich, que cela serre le coeur, und man daran verzweifelt, das je einigermaßen hübsch zu machen.

Der Garten ist verwildert und voller Gestrüpp, so dass keine Blume darin blüht und es multrig und ungesund riecht. Man fragt sich, wie es je Europäer aus guter Gesellschaft in dieser Umgebung ausgehalten haben. Frau von Prittwitz hat drei Schlafzimmer notdürftig für uns aus zusammengeliehenen Möbeln arrangiert, und unsre Mahlzeiten nehmen wir bei ihr.

Die Ärmste hat drei winzige Zimmerchen, die sie aber sehr behaglich eingerichtet hat, so dass sie eine Oase in der furchtbaren Wildnis bilden.

An diesem ersten Abend sahen Edmund und ich den Mond an und wünschten von ganzem Herzen, bald und mit Anstand von hier fortzukommen.

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