6. Juli 1896

Wir standen morgens sehr früh bei leider grauem Wetter auf, um nach Nikko zu reisen, wohin uns Gutschmid eingeladen hat. Die Fahrt durch allerhand seltsame japanische Viertel, in denen man die kleinen Häuschen sich öffnen und erwachen sah, war von ganz besonderem Zauber, und auf dem Bahnhof war wieder das reizende Gedränge kleiner, niedlicher Japanerinnen und das Geklapper von Hunderten stelzenartiger Holzschuhe. Diese Chaussure war aber heut wohl am Platz, denn kaum hatten wir Tokio verlassen, so begann ein strömender Regen. Das grüne Land sah dabei noch grüner aus, und die Leute, die im Feld arbeiteten, nahmen Strohmäntel um, in denen sie wie emsige Stachelschweine aussehen. Jedes Eckchen Land ist bebaut und alles ist in kleine Felder abgeteilt, zwischen denen Kanäle hindurchfließen, und die reichlichen Pfützen sind mit Lotos bedeckt, von denen man nicht weiß, ob die rosa und weißen Blüten oder die geschweiften Blätter am schönsten sind. Zwischen all den hellgrünen Feldern erheben sich große, dunkle Bäume, unter denen sich die Häuser der Lebenden und die Gräber der Toten verstecken. Allmählich, als wir uns Nikko näherten, sahen wir die herrliche Cryptomerien-Allee, in der früher der Shongun zu den Heiligtümern in Nikko wallfahrtete.

In Nikko erwartete uns Gutschmid gänzlich unverändert, und wir fuhren bei strömendem Regen in Rickshaws über einen Fluss, den eine rote, nur für die kaiserliche Familie geöffnete Brücke überspannt zum Grand-Hotel, wo wir uns an einem guten Tiffin labten.

Bei noch immer strömendem Regen bestiegen wir nachmittags wieder die Rickshaws, in gelbes, geöltes Papier eingewickelt, so dass wir alle wie nasse Kanarienvögel aussahen. Zuerst ging es noch einen verhältnismäßig guten Weg bis zu einem Teehaus, wo wir Halt machten und uns trotz des noch immer weiterströmenden Regens an einem nipponischen Miniaturgarten und an nipponischen Teemädchen und ihren Prosternationen erfreuten. Von da ab aber begann für die Kulis die eigentliche Arbeit. Zuerst führte der improvisierte Weg mehrmals über einen Gebirgsbach, da die eigentliche Straße durch die Regen weggespült war, und dann begann er, in den kühnsten Zickzacks, den steilen Berg zu erklimmen. Der Weg war aber in einen dicken Sumpf verwandelt, in welchem die Djns bis zu den Knien versanken und über den sie die Rickshaws streckenweise einfach heben mussten. Die Leute aber, die nur einen Hut und ein kurzes Hemd trugen, blieben bei alledem in der besten Laune, lachten an den schlimmsten Stellen, und sobald der Weg sich etwas besserte, sausten sie in voller carriere weiter. So ging es drei Stunden, und immer strömte der Regen, und wir waren von Feuchtigkeit und von nasser, grüner Vegetation ganz umgeben. Ich kam mir vor, als sei ich plötzlich der Bewohner eines Aquariums geworden, in das ein hellgrünes Licht scheint. Überall Wassertropfen und Nebelschleier und eine aggressive Vegetation, die auch den härtesten, glättesten Stein attackiert und in ihm Wurzel zu fassen weiß. Nach drei Stunden waren wir auf der Höhe, und nun ging es an dem Chujenji-See entlang bis zu Gutschmids Haus, welches dicht am Wasser liegt.

Es ist ein echt japanisches Häuschen, ganz aus hellgelbem Holz gebaut mit verschiebbaren weißen Papierwänden, die die einzelnen Zimmer untereinander und von der Veranda abtrennen. Der Fußboden ist mit feinen weißen Matten belegt, auf denen man nur in hackenlosen Schuhen gehen darf.

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